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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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tatsächlich andere von einem Ehebruch abhielt?
    In der Dunkelheit des ratternden Wagens überfielen Jeanne die Erinnerungen. Bruchstücke, die kein passendes Mosaik ergaben. Bilder aus ihrer Kindheit, Szenen aus dem Hofleben, Episoden ihrer Ehe mischten sich mit den Horrorszenarien der Hinrichtung und schenkten ihr keinen Trost. Nicht einmal der Gedanke an ihre Kinder gab ihr Frieden.
    Es war ihr nicht gelungen, einen Sohn zur Welt zu bringen, nur Mädchen, klagte sie sich an. Empfindliche Kinder noch dazu. Die kleine Jeanne neigte zu Alpträumen. Marguerite kränkelte und erkältete sich beim geringsten Luftzug. Isabelles kleines Lebenslicht leuchtete so schwach, dass niemand die Voraussage wagte, wie lange es überhaupt leuchten würde.
    Ihre Mutter würde der alten Jacquemine das Heft aus der Hand nehmen und sich als Großmutter in alles einmischen. Am Ende würde sie noch darauf bestehen, dass Philippe ihr die Sorge um die Mädchen ganz überließ. Sie würde ihnen eine ähnliche Kindheit bescheren wie ihr und Blanche. Eine Kindheit mit unbarmherzigen Erziehungsmaßnahmen und einer Ehe im Kindesalter, die politischen Zielen diente.
    Wie gern hätte sie Séverine die Kinder anvertraut. War sie noch in Pontoise? Oder hatte Adrien sie unter seine Fittiche genommen? Wahrscheinlich.
    Adrien Flavy würde nicht tatenlos zusehen, wie sie in Gefahr geriet. Séverine konnte sich glücklich schätzen, ihn an ihrer Seite zu haben. Voller Zuneigung gedachte Jeanne des Mädchens, dessen Geheimnis sie nun wohl niemals erfahren würde. War ihre Ähnlichkeit eine Laune der Natur oder ein Beweis, dass ihrer beider Schicksal auf unbekannte Weise miteinander verbunden war?
    Der Wagen krachte in ein Schlagloch und riss Jeanne aus ihrer Benommenheit. Wie viel Zeit war mittlerweile vergangen? Sie vernahm die Flüche des Kutschers, der die Zügel auf den Rücken der Pferde klatschte. Schwankend und ächzend kam der Wagen wieder auf den Weg und holperte weiter.
    Wohin brachte man sie?
    Mit Sicherheit war das keine der gepflegten Straßen, die in Richtung Paris oder an die Küste führten. Diese Routen wurden in jedem Frühling ausgebessert, damit Händler und Reisende die Stadt unbehindert erreichen konnten. Die Schlammrinnen und Löcher hier deuteten auf einen abgelegenen, wenig befahrenen Weg hin.
    Brachte man sie in das fast menschenleere Poitou, das der König seit Jahren mit Bauern und Handwerkern besiedeln wollte? Dort gab es nicht viel mehr als einsame Dörfer und neugegründete Klöster. War nicht von einer Festung die Rede gewesen? Festungen im Poitou waren ihres Wissens nicht mehr als karge Wehrtürme, besetzt mit Soldaten, die aus verschiedenen Gründen auf diese verlorenen Posten geschickt worden waren. Jeanne presste die flachen Hände gegeneinander und versuchte, sich zu beruhigen.
    »Holla! Haltet an! Im Namen des Königs befehle ich Euch, anzuhalten!«
    Der unverhoffte Halt schleuderte Jeanne aus dem Sitz. Bis sie wieder hochkam und tastend nach Halt suchte, öffnete sich die Seitentür. Man hielt ihr eine Fackel vor das Gesicht.
    »Séverine!«
    Die beiden Frauen fielen sich in die Arme. Das unverhoffte Wiedersehen ließ alle Schranken fallen. Keine war in der Lage, etwas zu sagen.
    Im Licht der Fackel entdeckte Jeanne, wie sehr Séverine sich in den wenigen Tagen verändert hatte. Aus dem dunklen Rahmen ihrer Mantelkapuze blickte eine junge Frau, die erwachsen geworden war. Jeanne hob die Hände und berührte Séverines Wangen mit den Fingerspitzen.
    »Es tut mir leid. Ich hätte dich in Paris lassen sollen«, sagte sie sanft. »Ich habe aus Eigensucht gehandelt, weil ich dich bei mir haben wollte.«
    »Das sehe ich nicht so.« Séverines alte Lebhaftigkeit blitzte auf. »Ich bin dankbar, dass ich bei Euch bin. Jetzt noch mehr als je zuvor. Ich bin untröstlich, dass Ihr solches Unrecht erleiden müsst.«
    »Du weißt, dass du dich in Gefahr begibst?«
    »Damit muss ich rechnen. Selbst wenn ich mich ans Ende der Welt verkrieche, bedeutet das keine Sicherheit.«
    Séverine erfasste Jeannes eiskalte Hände. Nachdem sie sie etwas gewärmt hatte, legte sie ihr ihren Mantel um die Schultern. Die unerwartete Wärme tat Jeanne gut. Noch einmal schloss sie Séverine fest in die Arme.
    »Ich hatte aufgegeben, darauf zu hoffen, dass ich dich noch einmal sehen könnte«, seufzte sie schließlich.
    »Verliert nicht den Mut«, mahnte Séverine. »Philippe und Adrien bemühen sich mit allen Kräften, Eure Begnadigung zu

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