Turner 02 - Dunkle Vergeltung
habe. Keine Leiche, die in einem langen heißen Sommer seit zehn Tagen tot war, kein Schwarzer, der in einer Einkaufsstraße des Neuen Südens an einer Straßenlaterne baumelte. Auch kein freundlicher alter blinder Mann, der darauf wartete, im Namen der Gerechtigkeit auf einen Tisch geschnallt zu werden und die Gifte injiziert zu bekommen, die zu Herz-und Lungenstillstand führen.
Ich erhielt den Einsatzbefehl vor ungefähr einem Jahr, etwa gegen elf Uhr abends. Wir hatten drei, vier ruhige Tage gehabt, ganz so wie wir sie mochten. Verkehrsunfall draußen auf dem Highway, die Trooper würden mich dort erwarten. Auf dem Weg dorthin schrieb ich noch schnell den Einsatzcode und das Ziel auf die Tafel.
Vier Teenager hatten sich für eine Spritztour einen Buick gekrallt. Doug Glazer, der Sohn des Rektors unserer Highschool, seine Freundin Jennie, der böse Bube des Ortes, Dan Taylor, und schließlich die mehrfach gepiercte Jo-Ann Ferris. Sie waren von einem Highschool-Footballspiel gekommen und hatten den Buick dort stehen sehen, Schlüssel im Schloss, der Motor lief. Warum nicht. Fuhren mehrere Male damit durch die Stadt, dann
raus auf die Autobahn, wo sie mit über achtzig Meilen pro Stunde halb unter den Auflieger eines Sattelzugs rasten. »Ich hab sie von der Seite her kommen sehen, sagte der Fahrer. Ich konnte ihnen nur nicht mehr schnell genug ausweichen. Ich konnte einfach nicht mehr ausweichen, nicht schnell genug.«
Der größte Teil von Jennies Kopf befand sich auf dem Armaturenbrett, der Mund immer noch lächelnd, der Lippenstift leuchtend rot. Dan Taylor und Jo-Ann Ferris waren ein einziges Gewirr von Blut und Körperteilen, aus denen ein Ohr herausragte, in dessen zahlreichen Silberringen sich das Blaulicht des Streifenwagens fing. Glazer, der Fahrer, war aus dem Wagen geschleudert worden, er hatte nicht einen Kratzer abbekommen. Er sah ziemlich friedlich aus.
Wir wissen es nie, oder? Der Hammer hängt dort die ganze Zeit, während wir all den alltäglichen Dingen nachgehen, die halt zu tun sind, Rechnungen bezahlen, Edelstahlspülen scheuern, neue Saiten auf Banjos aufziehen und wieder mal versäumen, dem oder der an unserer Seite zu sagen, wie sehr wir ihn oder sie lieben.
Die Trooper waren vor mir am Unfallort. Der jüngere der beiden stand am Straßenrand und musste sich übergeben. Der Ältere kam zu mir.
»Sie müssen der Sheriff sein.«
»Deputy.« Wir stellten uns einander vor, schüttelten uns die Hand.
»Nur ein paar Teenager. Ergibt überhaupt keinen Sinn. … He, Roy! Bist du da hinten langsam fertig?«
Dann zu mir: »Der Junge ist gerade die erste Woche dabei.«
Da es auf der Autobahn passiert war, erledigten die Trooper den Papierkram. Mir blieb die Aufgabe, die Familien zu verständigen.
»Das wird eine lange harte Nacht«, sagte Trooper Stanton.
»Sieht so aus.«
»Ist das eurer?«, fragte er und deutete mit dem Kopf auf den Feuerwehrwagen, der gerade angehalten hatte. Benny winkte uns aus dem Führerhaus zu. Wir hatten nur eine freiwillige Feuerwehr. Im normalen Leben arbeitete Benny in dem Laden für Auto-Ersatzteile direkt neben dem Rathaus. Er hatte seinen Kurs als Rettungssanitäter in der nächstgrößeren Stadt gemacht.
»Ja.«
Wir brauchten über zwei Stunden für die Aufräumarbeiten am Unfallort. Es war fast drei Uhr nachts, als ich an Rektor Glazers Tür klopfte. Ich war eine knappe halbe Stunde dort, fuhr dann weiter zu Jennies Eltern, zu Dan Taylors Vater, Jo Ferris’ Mutter.
Sheila Ferris wohnte in einer Wohnwagensiedlung am Stadtrand. Sie kam in einem abgetragenen Morgenmantel aus Chenille an die Fliegentür, auf dem Kopf eins dieser Haarnetze, die man im Schlaf tragen kann. Es war rosa. Als ich es ihr sagte, kam keinerlei Reaktion, kein Wort, nichts.
»Sie verstehen mich doch, oder, Mrs. Ferris? Jo-Ann ist tot.«
»Sie … Sie war nie ein braves Mädchen, wissen Sie. Aber ich glaube, sie wird mir fehlen.«
In dieser Nacht kam ich erst wieder ins Büro, kurz bevor Don Lee aufkreuzte, um die Frühschicht zu übernehmen. Ich machte uns einen Kaffee, berichtete ihm von dem nächtlichen Verkehrsunfall und fuhr nach Hause. Im Rückspiegel sah ich, wie June auf den Parkplatz fuhr, den ich gerade verlassen hatte.
Ein träger, leicht aufgewühlter Nebel hing über dem Wasser, als ich um den See zum Blockhaus fuhr. Einer der von Sisal zusammengehaltenen Küchenstühle auf der Veranda war endgültig auseinandergefallen. Ich argwöhnte, dass das in der Nähe sitzende
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