Turrinis Bauch - Kriminalroman
festgestellt hat.
Am dritten Tag ist die Gucki dann aber draufgekommen, dass die Erni noch mehr draufhat. Dass hinter dem traurigen Menschen noch einmal was verborgen ist. So wie bei diesen russischen Holzpuppen, wo innen drinnen dann eine kleinere steckt – und in der wieder eine kleinere – und so weiter. Ist unter der traurigen Erni auf einmal eine extrem lebenslustige Frau zum Vorschein gekommen. Mit einem Lachen, das so ansteckend war wie Pest und Cholera miteinander.
Jetzt sind wir aber auch schon da, wo wir hinwollen: bei den Abgründen der Altenpflege. Heut in der Früh ist die Mayerhoferin auf einmal mitten beim Frühstück ins Erni-Zimmer hineingeplatzt. Mit einem auffallend gutaussehenden Mann im Schlepptau. Groß, schlank, dunkel, die Schläfen leicht angegraut, der Schnurrbart aber noch schwarz, Sommeranzug in Olivgrün – kurzum: ein Bild von einem Mann!
„Hat sich die Erni mit ihrem vielen Geld einen Nobel-Callboy herbestellt?“, fragt sich die Gucki.
Aber nein! Wo die schon wieder hindenkt? Der schöne fremde Mann ist kein Mann, sondern ein Herr. Nämlich der Herr Notar. Der sich extra wegen der Erni von Weißenbach herbemüht hat. Mit einem dazupassenden Jaguar XJ 6 in Britisch Racing Green.
Steht ja direkt neben der Gucki ihrem Karmann Ghia . Passen farblich gut zusammen, die zwei. Das helle Rot vom Karmann und das dunkle Grün vom Jaguar . Wie gut täten da erst der Herr Notar und die Gucki zusammenpassen: er im eleganten Anzug – sie in Lederjacke und Jeans. Wie Tag und Nacht! Muss die Gucki jetzt direkt selber lachen, wie sie sich den Herrn Notar als Vater ihres Kindes vorstellt.
Ein bisserl geht ihr nämlich schon der Reis. Dass sie womöglich schwanger ist. Hat ja nicht gut fragen können: „Du, Pezi, haben wir jetzt gestern miteinander geschnackselt – ja oder nein?“
Und von selber hat er auch nichts gesagt, der Pezi. Wie sie ihn aufgeweckt hat. Nur: „Nie wieder einen Tropfen Alkohol!“ Das aber gleich ein paar Mal.
Während die Gucki jetzt gemeinsam mit der Vivi Morgenpflege am Fließband macht, hat sie ihre Sorgen aber auch schon wieder vergessen. Weil sie sich über die Vivi zerkugeln muss.
„Du haben gesehen scheenes Mann?“, fragt die Vivi. „Ist diese Mann dritte Mal bei Erni in eine Monat. Meglich, will machen Hochzeit mit Erni und erben die viele Geld?“
Erwacht in der Gucki natürlich ihre kriminalistische Neugier. Der Notar will die Erni nicht beerben. Aber wer dann? Kommt eigentlich nur die Mayerhoferin in Frage. Drum ist die Gucki aus der Erni ihrem Zimmer hinausgeschmissen worden: damit sie nicht mitkriegt, wie die Frau Heimleiterin die alte Frau herumkriegt!
Jetzt wird man sich natürlich schon die längste Zeit fragen, wie das die Gucki zusammenbringt, dass sie allein in der zweiten Halbzeit von Brasilien–Portugal so viel denkt. Eine berechtigte Frage.
Aber erstens kann die Gucki das wirklich gut: mehrere Sachen gleichzeitig machen. Und zweitens war es ziemlich ruhig in Mandi’s Saustall . War ja Nachmittag. Sprich: Außer der Gucki und dem Mandi sind nur ein paar Schichtarbeiter vor dem Fernseher geknozt. Hat die Gucki locker nachdenken können.
Jetzt wird es langsam, aber sicher voller und damit auch lauter. Weil ja schon bald das nächste Spiel kommt. Spanien–Chile . Tut sich die Gucki mit dem Denken schon schwerer. Weil sie sich die eine oder andere boshafte Bemerkung über die Brasilianer anhören kann. Die zwar nach einem 0:0 aufgestiegen sind, aber halt absolut glanzlos.
Das hat sie jetzt davon, die Gucki. Dass sie unbedingt im brasilianischen Nationaldress im Saustall sitzen muss. Noch dazu als einzige Frau! Wenn man von der Herta absieht. Aber die zählt nicht. Ist ja die Frau vom Wirt. Muss ununterbrochen rennen. Weil der Mandi beim besten Willen nicht selber bedienen kann. Weil der Sport halt einmal seine ganze Leidenschaft ist. Obwohl man ihm das auf den ersten Blick gar nicht ansehen tät. So einen Meter sechzig, dafür aber hundertzehn Kilo wird er schon haben. Lässt aber kein einziges Sportereignis im Fernsehen aus. Kennt sich daher schon ein bisserl aus im Fußball.
Drum wettet er jetzt mit der Gucki, dass die Chilenen am nächsten Montag gegen Brasilien gewinnen. Bleibt der Gucki nichts anderes über, als dass sie dagegen wettet. Obwohl sie total angefressen ist auf die Brasilianer. Aber so ist es halt einmal: einmal Brasilien – immer Brasilien!
Versteht sich von selber, dass die zwei nicht um ein Fassl Bier wetten,
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