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Twig im Dunkelwald

Twig im Dunkelwald

Titel: Twig im Dunkelwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Stewart
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fragend am Kopf.
    »Dein Zahn?«, sagte Twig. »Hier ist er.« Er hielt ihm den Zahn auf dem Handteller entgegen.

    Der Banderbär nahm den Zahn mit einer Behutsamkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, und wischte ihn an seinem Fell ab. Dann hielt er ihn ins Licht. Twig sah, dass das Loch sich bereits durch den ganzen Zahn gefressen hatte. »Wu«, sagte der Bär und berührte die Amulette um Twigs Hals. Dann gab er ihm den Zahn zurück.
    »Du meinst, ich soll ihn um den Hals tragen?«, fragte Twig.
    »Wu«, machte der Banderbär zustimmend. »Wu, wu.«
    »Als Glücksbringer?«
    Der Banderbär nickte. Twig fädelte den Zahn auf den Lederriemen, an dem die Amulette von Spelda hingen, und der Banderbär nickte noch einmal zufrieden.
    Twig lächelte. »Geht es dir jetzt besser?«, fragte er.
    Der Banderbär nickte wieder. Er zeigte mit dem Arm zuerst auf sich und dann auf Twig.
    »Ob du auch etwas für mich tun kannst?«, sagte Twig. »Und ob! Ich bin am Verhungern. Essen, Essen.« Er klopfte sich auf den Bauch.
    Der Banderbär sah ihn erstaunt an. »Wu!«, grunzte er und beschrieb mit dem Arm einen weiten Kreis.
    »Aber ich weiß nicht, was man essen kann«, erklärte Twig. »Gut? Schlecht?« Er zeigte auf verschiedene Früchte.
    Der Banderbär bedeutete ihm mit einer Geste ihm zu folgen und führte ihn zu einem großen, glockenförmigen Baum mit blassgrünen Blättern und leuchtend roten Früchten, die so reif waren, dass bereits der Saft aus ihnen tropfte. Twig leckte sich gierig die Lippen. Der Banderbär langte hinauf, pflückte mit seinen Klauen eine Frucht und streckte sie Twig hin.
    »Wu«, brummte er drängend und schlug sich auf den Magen. Die Frucht war nicht giftig, Twig sollte sie essen.
    Twig nahm sie und biss hinein. Sie war mehr als gut, sie war einfach köstlich! Süß, saftig und mit einem ganz feinen Geschmack nach Waldingwer. Er aß sie, dann sah er den Banderbären an und klopfte sich wieder auf den Bauch.
    »Mehr«, sagte er.
    »Wu.« Der Banderbär grinste.
    *
    Sie waren ein seltsames Paar, der pelzige Koloss und der magere Junge, und manchmal fragte sich Twig, warum der Banderbär bei ihm blieb. Er war doch so groß und stark und kannte so viele Geheimnisse des Waldes, dass er Twig nicht brauchte.
    Vielleicht war er auch einsam. Oder er war dankbar, dass Twig ihm den Zahn gezogen hatte. Oder mochte er ihn einfach? Twig hoffte, dass es so war. Er jedenfalls mochte den Banderbären mehr als alle seine bisherigen Freunde. Mehr als Taghair, mehr als Knorpel und sogar mehr als Hoddergrob, als der noch sein Freund gewesen war. Wie weit weg sein Leben bei den Waldtrollen ihm jetzt vorkam und wie lange es schon zurückzuliegen schien!
    Twig fiel ein, dass Cousin Schnatterbark inzwischen sicher nach Hause gemeldet hatte, dass er nicht angekommen war. Was die wohl dachten? Tuntums barsche Antwort konnte er sich denken. »Er hat sicher den Weg verlassen«, hörte er ihn sagen. »Ich wusste immer, dass es so kommen würde. Er war nie ein Waldtroll. Sein Mutter war zu nachsichtig mit ihm.«
    Twig seufzte. Arme Spelda. Er sah ihr tränenüberströmtes Gesicht vor sich. »Ich habe es ihm doch eingeschärft«, würde sie schluchzen. »Ich habe ihm gesagt, dass er unbedingt auf dem Weg bleiben muss. Wir haben ihn geliebt wie einen der unseren …«
    Aber Twig war in Wirklichkeit eben doch nicht einer der ihren. Er gehörte nirgends hin – nicht zu den Waldtrollen, nicht zu den Schlächtern und ganz gewiss nicht in die klebrigen Honigwaben der Koboldkolonie.
    Vielleicht war sein Platz hier, an der Seite des einsamen alten Banderbären im endlosen Dunkelwald. Vielleicht war es sein Schicksal, von Mahlzeit zu Mahlzeit durch den Wald zu ziehen und an den geheimen Schlafplätzen zu übernachten, die nur Banderbären kannten. Immer unterwegs, nie lange am selben Ort und nie einem Weg folgend. Manchmal, wenn der Mond über den Eisenholzkiefern aufging, blieb der Banderbär stehen und reckte witternd und mit zuckenden Ohren und halb geschlossenen Augen die Nase in die Luft. Dann holte er tief Luft und schickte ein verlorenes Heulen zum Nachthimmel hinauf.
    Von weit, weit weg kam dann die Antwort, von einem anderen einsamen Banderbären in einer anderen Region des unermesslichen Dunkelwalds. Vielleicht begegneten sie sich eines Tages durch Zufall, vielleicht aber auch nicht. Deshalb klang ihr Geheul so traurig. Twig verstand das sehr gut.
    »Banderbär?«, sagte er an einem drückend heißen Nachmittag.
    »Wu?«,

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