Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
Seine dicken Lippen spannten sich jetzt an, kämpften darum, ihre nach oben geschwungene Linie unter seinem Schnauzbart zu verbergen.
Unser Magen hob sich.
»Ich … ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Addie. Unser Gesicht glühte, unsere Hände waren schweißnass.
Dr. Wendle zog eine Augenbraue hoch. »Tust du nicht?«
»Nein«, sagte Addie.
Sein Schnäuzer schien seine gerunzelte Miene noch zu betonen. »Dir ist schon klar, Addie, dass wir die Wahrheit herausfinden werden, sobald wir dich untersuchen. Also hat es keinen Sinn zu lügen.«
»Ich lüge nicht.« Irgendwie gelang es Addie, mit fester Stimme zu sprechen. »Ich glaube, es ist ein Fehler passiert.«
Wir saßen eine lange Zeit schweigend da, die Augen auf unseren Schoß gerichtet, der Arzt ebenso still wie wir. Endlich seufzte er und stand auf, er schmollte wie ein Junge, dem man ein Geschenk versprochen und stattdessen eine Strafe aufgebrummt hat. »Na schön, wenn du darauf bestehst.« Er bedeutete uns, ihm aus dem Büro zu folgen. »Ich werde ein oder zwei Tests durchführen«, sagte er, ohne uns anzusehen. »Ein Gehirnscan, ein EEG …«
Addie hastete hinter ihm her durch die Flure und bemühte sich, mit seinem halsbrecherischen Tempo mitzuhalten. Wir fanden uns in einem Untersuchungsraum wieder, wo Dr. Wendle an einer großen, rechteckigen Maschine zu hantieren begann und den dazugehörigen Bildschirm mit zusammengekniffenen Augen anstarrte. Es war der einzige Gegenstand im Raum. Addie stand neben der Tür, so weit von dem gelbgrauen Apparat und Dr. Wendle entfernt wie möglich.
Schließlich drehte er sich um und sagte: »Komm her. Hab keine Scheu.«
Unsere Schuhe erzeugten kaum ein Geräusch auf den glänzend weißen Fliesen. Unsere Hand steckte in der Rocktasche, Ryans Münze an die Handfläche gepresst.
»Stell dich hierhin und fass nichts an«, sagte Dr. Wendle. »Ich brauche nur noch einen Moment, um alles einzurichten.«
Die Maschine war länger, als er groß war, und ragte beinah anderthalb Meter in die Höhe. Eines ihrer schmalen Enden stand offen und gewährte einen Blick in das hohle Innere. Addie bewegte sich unruhig auf der Stelle. Sie fasste nichts an. Dr. Wendle schien sehr viel länger als bloß einen Moment zu brauchen. Eine Stunde, mindestens. Wie wäre die glühend heiße, brennende Übelkeit, die sich wie Säure durch unseren Magen fraß, anders zu erklären gewesen? Oder das Summen in unseren Ohren?
Ein tiefes Brummen ertönte. Dr. Wendle drückte ein paar Tasten, studierte den Wust an Informationen auf dem Bildschirm und hob schließlich den Blick.
»In Ordnung, gleich ist alles bereit. Ich … Du bist noch nicht umgezogen.« Er blinzelte, als hätte er von uns erwartet, wie durch Zauberei zu wissen, dass dies nötig sein würde, dann eilte er in den hinteren Teil des Raumes. »Das kannst du während des Scans nicht tragen.« Er durchwühlte eine Schublade und zog einen langen weißen Krankenhauskittel daraus hervor. »Hier, zieh den an.«
Addie wich einen Schritt zurück. »Wofür ist der?«
»Für den Scan«, sagte er und stieß uns in einen angrenzenden Raum. Die hintere Zimmerecke war durch einen dünnen blauen Vorhang abgetrennt. »Jetzt zieh dich um. Beeil dich, bitte.«
Bronzefarbene Ringe schabten an einer Metallstange entlang und schlossen uns in der dämmrigen, telefonzellengroßen Kabine ein. Einen Moment lang wagten wir nicht, uns zu rühren.
‹Schließ die Augen›, sagte ich.
Addie gehorchte. Es half ein bisschen, aber wir zogen uns trotzdem so rasch aus, wie wir konnten. Der Krankenhauskittel wurde am Rücken zusammengebunden. Wir mussten unsere Arme höllisch verrenken, um an die Bänder zu gelangen.
»Bist du so weit?«, rief Dr. Wendle.
Addie zog den Vorhang beiseite, dann bückte sie sich, um unsere Kleider zu falten, und legte sie auf einen Metallstuhl, der in der Nähe stand.
»Gut«, sagte Dr. Wendle und drückte einige Knöpfe an dem Apparat. »Lass deine Kleider einfach dort liegen. Du wirst sie in ein paar Minuten wieder brauchen.«
Der Deckel der gelbgrauen Maschine öffnete sich summend.
Addie blieb wie angewurzelt mitten im Raum stehen.
»Was ist denn?«, fragte Dr. Wendle.
»Erklären Sie mir …« Sie schluckte. »Erklären Sie mir, was passieren wird.«
Er warf uns einen befremdeten Blick zu. »Eigentlich nichts. Du legst dich einfach hier hin«, er zeigte auf die Maschine, »und …«
»Aber der Deckel«, sagte Addie. »Bleibt der Deckel offen?«
»Nun ja …«,
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