Twin Souls - Die Verbotene: Band 1
schimmernden Luft, noch halb schlafend, aber die Finger mit den in Gelb getauchten Spitzen schon über den Himmel streckend. In unserer Hand pulsierte die Leuchtdiode auf dem Chip langsamer und langsamer, bis sie schließlich ganz erlosch.
Die Flugbegleiterin lief immer weiter und hielt erst bei einem Food Court, in dem ein ohrenbetäubender Lärm herrschte. Addie sah sich um, nahm den Geruch von frisch gemahlenem Kaffee in sich auf, den frühmorgendlichen fettgeschwängerten Duft nach Gebäck und gebratenen Hähnchen, die hell erleuchtete Speisekarte des Sandwichstands. Die Stewardess lotste uns auf einen Tisch zu, setzte sich aber nicht.
Und so standen wir also da, zwei Statuen in einem Meer aus Tischen und Kaffeetrinkern und überdimensionierten Muffins. Eine große, dünne Statue in schicken hochhackigen schwarzen Schuhen. Und eine kleinere Statue in den zu einer Schuluniform gehöhrenden Lacklederschuhen. Das Schweigen war wie ein unerwünschtes Kind, das an unseren Haaren zog und mit seinen Fingern über unsere Lippen fuhr.
‹Eva›, sagte Addie.
Was machten unsere Eltern jetzt gerade? Wir waren nach Westen geflogen, also war es in Lupside schon später am Tag. Wahrscheinlich waren sie inzwischen aufgestanden. Hatten sie die vergangene Nacht geschlafen? Oder waren sie aufgeblieben, so wie früher manchmal, wenn ein Arzttermin bevorstand und sie am Morgen aus ihrem Zimmer gekommen waren und gespenstisch ausgesehen hatten?
Was hatten sie Lyle erzählt?
‹Ich … habe es in Wahrheit nicht so gemeint›, sagte Addie. ‹Gestern Nacht. Von wegen, dass es deine Schuld wäre.›
Ich setzte an, etwas zu sagen, aber sie unterbrach mich sofort, die Worte sprudelten aus ihr hervor wie Seifenblasen – zerbrechlich und durchscheinend. ‹Warst du glücklich, Eva?›
Es dauerte einen Moment, bis ich antworten konnte.
Die Mauer zwischen uns fiel in sich zusammen, zusammen, zusammen. Ihre Gefühle brachen über mich herein, ein Ozean aus Sorge und Angst und … Schuld.
‹Ja›, sagte ich. ‹Ja, das war ich.›
Addie seufzte. Die letzten Bruchstücke ihrer Mauer wirbelten in den Strudeln eines Gefühls davon, das ich nicht benennen konnte.
‹Was machen wir jetzt, Eva?›, fragte sie.
‹Wir stehen es durch, so gut wir können›, sagte ich. Was hätte ich sonst sagen sollen?
»Ah, da ist er ja«, sagte die Flugbegleiterin und unterbrach damit unser Gespräch. Erleichterung schlich sich in ihre Stimme, grub sich in die Winkel ihres Lächelns.
Mr Conivent teilte die Menschenmenge mit seinen brüsken Schritten und steifen Schultern. Weder von Devon noch von Ryan war etwas zu sehen.
»Danke Ihnen«, sagte er zu der Stewardess. Im nächsten Moment wandte er sich uns zu. »Bist du so weit?« Addie nickte. »Wunderbar. Dann lass uns gehen.«
Addie warf sich den Matchbeutel über die Schulter und folgte ihm aus dem Food Court heraus. Sie trat auf die Schatten, die seine teuren Lederschuhe warfen.
‹Wir stehen es durch, so gut wir können›, sagte Addie.
‹So gut wir eben können.›
Kapitel 14
Am Straßenrand vor dem Flughafen wartete ein Fahrer auf uns. Er öffnete die Tür eines schnittigen schwarzen Wagens, der dem sehr ähnelte, den Mr Conivent in Lupside gefahren hatte. Addie kletterte auf den Rücksitz, den Matchbeutel immer noch fest an unsere Brust gedrückt. Mr Conivent und der Fahrer wechselten nicht mehr als ein, zwei rasch gemurmelte Sätze und keiner der beiden richtete das Wort an uns.
Wir guckten aus dem Fenster, während die fremde Landschaft an uns vorbeiflog. Zuerst waren es nur Highways, breiter und befahrener als die zu Hause. Eine Stadt schimmerte in der Ferne – eine richtige Stadt mit Hochhäusern, die im Licht der Morgensonne silbern und gold glitzerten. Aber irgendwann ließen wir die Stadt und den Highway hinter uns. Als wir schließlich die Klinik erreichten, hatten wir seit einer Ewigkeit kein Gebäude mehr gesehen. Die Landschaft hier war ungezähmt, und die Sonne hatte das Leben aus den Pflanzen gebrannt – sie hatte die Bäume verkümmert zurückgelassen und das Gras war kaum mehr grün.
Im Gegensatz dazu erhob sich die Nornand Klinik für Psychiatrie über ein Rund aus Sträuchern und getrimmten grünen Rasenflächen. Eine silberweiße Oase in der Wüste. Im Ganzen zwei Stockwerke hoch verfügte das Gebäude über eine Vielzahl seltsamer Winkel sowie enorme Glasflächen, die alle das Sonnenlicht reflektierten. Addie und ich starrten es mit offenem Mund an, während unser
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