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Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)

Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)

Titel: Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loons Gerringer
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den
einzigen Mädchen hier – könnte der Auslöser gewesen sein. Aber die beiden sind
rabenschwarz, und er redete immer wieder von ihrem blonden Haar – langes,
schönes Haar sei es, sagte er, in einem Ton, der einen nur beunruhigen konnte,
wenn Du bedenkst, dass er zwölf war und ein Wildfang und Mädchen und ihr Haar
bisher nicht die geringste Rolle in seinem Leben gespielt hatten. Außerdem
schien er nicht nur fasziniert, sondern regelrecht besessen davon zu sein. Es
machte mir Angst. Was war das für eine unheimliche kleine Fee, die da durch die
Fieberträume meines Jungen streifte und ihn neckte, bis er auch im Wachen an
gar nichts anderes mehr denken konnte? Wir gaben ihr sogar einen Namen, nannten
sie das Medusamädchen, obwohl er darauf bestand, dass sie schön war,
wunderschön – aber war das die Medusa nicht auch einmal gewesen, oder trügt
mich da die Erinnerung an meine halb vergessene Bildung?
    Wie ein Fall aus Dr. Freuds Lehrbuch klingt das, wirst
Du sagen. Und damit tröstete ich mich ja dann auch: dass ihn einfach die ersten
Wehen des Erwachsenwerdens erreicht hatten und sich unglücklich in seinem
Fieber brachen. Vermutlich hätte ich das alles längst vergessen, wenn es nicht
zu dem Unfall gekommen wäre.
    Du erinnerst Dich, wie erstaunt ihr wart, als ihr im
folgenden Sommer zu Besuch kamt und wir den Glockenturm hatten abreißen lassen
– den alten Glockenturm von Wokenduna Hall, unseren Leuchtturm im Irrgarten.
Ich hatte darauf bestanden, obwohl Peter mich für hysterisch hielt und das auch
deutlich sagte. Über Aubreys Entwurf zur Neugestaltung des Platzes schüttelte
er nur den Kopf, und ich weiß, auch ihr fandet den Schädel, den er aus der
Bodenplatte skulptierte, und den Spruch darunter, den er aus einem seiner
Abenteuerbücher ausgegraben hatte, ein wenig albern und pathetisch. Aber ich
sagte mir (und sagte es auch zu Peter): Wenn er sich so von diesem Erlebnis
befreien kann, dann soll es mir Recht sein. Und wir haben ja auch wirklich nie
wieder darüber gesprochen.
    Aber nun zu dem Unfall: Aubrey ging es zu der Zeit
endlich besser, er war wieder viel mehr auf, ruhte nur noch mittags für eine
längere Zeit. Ich saß nicht mehr an seinem Bett. Und so muss er im Halbschlaf
aufgestanden sein, eingefangen von einer seiner Fieberfantasien. Nur durch
hartnäckiges Nachfragen habe ich mir die Sache hinterher zusammengereimt –
seine Antworten waren dürr, er wollte nicht darüber sprechen. Wieder einmal war
er seiner kleinen Medusa gefolgt, nur dass er diesmal tatsächlich aufstand und
hinter ihr herlief, durch den halben Irrgarten hindurch, wobei er sogar von
einem der Gärtner gesehen wurde, der sich aber dabei nichts dachte. Aubrey
folgte seiner Fantasiegestalt bis in den Glockenturm hinauf und hatte sie
endlich beinahe erreicht, hätte sie erreicht, sagte er mir (immer noch wütend,
immer noch entsetzt), wenn sie sich nicht plötzlich zu ihm umgedreht hätte und
ihm statt ihres vertrauten Gesichts eine schreckliche schwarze Maske
entgegengestarrt hätte, mit dunklen Schlitzen anstatt Augen und überhaupt so
furchtbar, dass er vor Schreck das Gleichgewicht verlor und hintenüber die Treppe
hinunterstürzte. Da haben wir ihn nach Stunden des Suchens dann auch gefunden.
Halb bewusstlos lag er am Fuß der Treppe, hatte aber unglaublicherweise außer
dem Schock keinerlei Schaden genommen.
    Trotzdem machte mir dieser Vorfall große Angst um ihn.
Nie wäre ich bis dahin auf die Idee gekommen, seinen Geist für gefährdet zu
halten, wie gesagt, er war ein robuster kleiner Junge. Aber trotz aller
Bemühungen von Freud und anderen – was wissen wir denn schon wirklich darüber,
wie unsere Seele, unser Geist funktionieren?
    Aber er wurde dann bald ganz gesund und fast wieder
der alte, ein bisschen stiller, ein bisschen kühler vielleicht, doch er war ja
auch älter. Ich habe kaum noch an die ganze Sache gedacht, seit er erwachsen
wurde.
    Und dann fand ich ihn heute Nachmittag genau dort, in
diesem düsteren Gärtchen, das von den Eibenhecken inzwischen ganz überschattet
ist. Er saß auf der Schädelplatte, und ich beobachtete ihn – er regte sich
nicht. Fünf Minuten lang sah ich ihn dort einfach nur sitzen, während die Erinnerung
in mir hochkroch und sich mit der leisen Irritation vermischte, die ich seit
Tagen verspüre. Dann hielt ich es nicht mehr aus und ging zu ihm hinein.
    Ich habe vergessen zu erwähnen, dass dieser Platz ihn
immer schon gefesselt hat. Als Zehnjähriger kam er nach

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