Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)
Fischhappen wieder zu der Gruppe um Inglewing setzte, erhob sich
plötzlich die Stimme der Geige über das Gerede der anderen, über die Geräusche
der benachbarten Lager und das Möwenkreischen. Mit ihren klaren Tönen und einer
Melodie, die James hier inmitten der Fremde geradezu absurd vertraut vorkam,
holte sie so unerwartet die Erinnerung an zuhause zurück, dass er das Heimweh
wie einen Pfeil in sich einschlagen fühlte. Es war noch heftiger als der
Ginsterduft neulich in der Heide. Für einen Moment konnte er den Bissen nicht
mehr herunterschlucken, er saß nur da und glotzte Halfast an … einen Fremden,
der an die Stufen des Kalendio-Wagens gelehnt dastand, den qualmenden
Zigarillostummel zwischen den Lippen, und Mozart – Bach – Beethoven? – spielte.
Immer lauter und sicherer wurde das Spiel, und für Minuten beherrschte die
Stimme der Geige diese ganze Ecke der Hafenwiese. James sah, dass auch die
Nachbarn innehielten und herübersahen, und ein paar kleine Kinder kamen heran,
blieben unter der Wäscheleine stehen und hörten zu. Halfast nahm das alles gar
nicht zur Kenntnis.
James schluckte den Fischklumpen endlich hinunter, und
von seinem eigenen plötzlichen Heimwehaufwallen sprangen seine Gedanken
unvermittelt über zu dem, der die Musik machte. Zu Halfast, der sich abgefunden
hatte. Der jetzt eben ein bisschen mehr rauchte und sich vielleicht ein
bisschen weniger kämmte … aber endlich wieder Geige spielen durfte. Und wer so
gut darin war, der würde sich auch über eine unglückliche Liebe hinwegtrösten
können. Er würde Orla hinter sich lassen und mit der Braut, die ihm sein Vater
ausgewählt hatte, ein neues, vernünftigeres, erwachseneres Leben anfangen. In
all diesen Wagen ringsum – wie viele Mini-Dramen dieser Art mochten sich da
abspielen?
Er schüttelte das von sich ab. Verdammt. Da musste nur
mal einer einen Fetzen bekannte Musik fiedeln, und mit einem Schlag wurde man
zum sentimentalen Weichei. Aber irgendwie schien Halfast bei ihnen allen einen
Nerv getroffen zu haben. Die Tristain -Probe geriet ins Schleudern, weil
auch die Schauspieler zuhörten.
Als Halfast dann aufhörte, verbeugte er sich ein
bisschen spöttisch zu den Nachbarn und den Kindern hin und schnippte den lang
gewordenen Aschekegel in die Gegend.
„Warum gibst du Gratisvorstellungen?“, rief Brogue,
aber sein mürrischer Ton klang nicht so überzeugend wie sonst.
„Man nennt das auch Üben“, erwiderte Halfast und
schlug die Geige wieder in ihr Tuch ein.
„Spiel das morgen auf dem Markt und mach uns reich,
Mann!“, sagte Juniper. „Bohnenkaffee für alle!“
Darauf lachte Halfast nur, aber kein besonders gutes
Lachen.
„Wenn die Kramper solche Musik hören wollen, dann gehn
sie in ihre Konzerthallen und bejubeln ihre Leute, ist dir das noch
nicht aufgefallen?“, erwiderte Haminta an seiner Stelle barsch.
„Wirklich gut, Halfast!“, lobte der Chef. „Wir könnten
das vielleicht sogar hier im Stück einbauen … Brogue? Was meinst du?“
Gaetano, der Funkenkünstler, kam vorbei und brachte
wieder Käse und Rotwein mit und dazu einen Haufen Klatsch aus der Stadt. James
ließ sich von Firn die Wurftechnik zeigen, bei der das Messer sich im Flug
nicht überschlägt.
„Guck mal, was der da hat“, sagte Firn nach einer
Weile und nickte zu Juniper hinüber. „Kommt mir bekannt vor!“
Juniper und Carmino waren eben vom Markt
zurückgekehrt, wo sie die Werbeplakate ausgetauscht hatten. Jetzt saßen sie am
Feuer und blätterten in einem Heft.
„He, das ist mein Skizzenbuch!“, rief James empört.
„Das lag vor dem Gilwissler. Du musst es da verloren
haben.“
„Deine Bilder sind wirklich toll!“, sagte Juniper und
blätterte ungerührt weiter.
„Juniper! Schon mal was von – von Privatsphäre
gehört?“
„Hä? Ich guck mir doch nur deine Zeichnungen an,
Mann!“
Auch John stand da und glotzte den beiden Idioten über
die Schulter … und jetzt kam auch noch Halfast dazu – der wusste auf jeden
Fall, was Privatsphäre war, verdammt! Wenn der jetzt die Zeichnung von Orla
sah! James sprang auf.
„Her damit!“, schnauzte er und riss Juniper das Heft aus
der Hand. Es war nicht die Orla-Zeichnung, die er aufgeschlagen hatte, sondern seine
letzte Skizze von der Reitermaske, vor der seine Träume zu enden pflegten.
„Warum zeichnest du dieses Helmvisier?“, fragte John
erstaunt.
„Was weiß ich! Ich zeichne vieles, was ich sehe! Das
hier hab ich bei einem Reiter gesehen – bei dem
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