Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)
bald genug ganz das Interesse an ihnen verlieren.
Und dann? Wer tat dann noch was, um sie hier rauszubringen?! Man fühlte sich
wie einer, der mitten auf dem Meer über Bord gefallen ist und den die Strömung
immer weiter mitzieht, während das Schiff in die andere Richtung fährt –
Sie schluckte. Das war kein guter Gedanke.
James war ja noch da. Und der hatte zumindest einen Plan.
Wenn man sich wenigstens mal ein paar Stunden aus all
diesem Scheiß hier ausklinken könnte! Sie hätte sonst was gegeben für einen
funktionierenden MP3-Player! Stattdessen hörte man immer die Fremde um sich
herum, überall, dauernd. Endloses, vielstimmiges Gequatsche, Gelächter – als
wenn es hier was zu lachen gäbe! Jemand sang mit schriller, fremdartiger
Stimme. Scheppernde Eimer. Dumpfes Platschen irgendwo in der Tiefe, wenn der
Schöpfeimer im Brunnen aufs Wasser knallte. Das ätzende Geräusch, wenn die
Ketten wieder aufgewunden wurden … man biss automatisch die Zähne zusammen.
Pix verlagerte das Gewicht vom rechten auf das linke
Bein und stöhnte leise. Es war schon jetzt drückend und stickig, und natürlich
stank es noch genauso wie gestern. Tote Ratten, angefressene Möwen. Vor sich
hingammelnder Müll. Verfaulender Fisch. Scheiße. Ehrlich, wie konnten diese
Leute hier so leben?! In dem Rinnsal, das durch die Wiese floss, hopsten
tagsüber die Kinder herum, die Frauen wuschen Geschirr, Wäsche und Windeln
darin, und bestimmt kippten einige auch die Nachttöpfe rein. Und trotzdem sah
man überall Leute, die sich darin auch noch wuschen. Ihr wurde schon von dem
Gedanken schlecht.
Da vor ihr war wieder die Frau mit dem Kürbisbauch,
die stand immer mit Marjana zusammen an (Marjana arbeitete auf dem Markt am
Lederstand nebenan und hatte ihr und Nella geflochtene Lederhaarbänder
geschenkt). Schwangere Frauen kriegte man hier in Mengen zu sehen, aber die da
war eindeutig die Königin der Trächtigen, die hatte mindestens drei dadrin, und
zwar schätzungsweise von einem Elefanten. Trotzdem schleppte sie noch ein paar
Mal täglich ihre zwei Wassereimer über den Platz, es war nicht zu fassen. Ihr
Bauch ragte wie ein Schiffsbug aus so einer Bastweste hervor, wie auch Kate
eine hatte, und sie trug auch so einen spitzen Strohhut (Kate hatte ihren Rula
geschenkt). Karuleiru, das war der Name dieser Leute oder der Gegend, aus der
sie kamen. Von denen waren viele hier, die flohen vor dem Vulkan, über den Pix
lieber gar nicht erst nachdachte. Die Aschewolken sollten schon auf dem Weg
hierher sein. Gestern Abend beim Schlangestehen hatte sie zugehört, wie
Kürbisbauch und Marjana sich darüber unterhielten. Die Karuleiru-Leute wollten
noch weiter nach Norden, hatte die Schwangere mit starkem Akzent erzählt, und
ihr Mann versuchte, für die ganze Familie Plätze auf einem Schiff zu bekommen,
und dann sagte sie was Wirres über Salz und Seide. Und Marjana sagte dazu, dass
Salz und Seide ja wohl ein verflucht gutes Geschäft mit den Flüchtlingen hier
machen würde. Hä? Sie kapierte gar nichts mehr, bis ihr plötzlich klar wurde,
dass es um eine Schiffslinie oder eine Reederei gehen musste, die so hieß!
Salz-und-Seide! Beknackter Name, aber – und dann ging ihr auf, dass sie sich
das unbedingt merken und so schnell wie möglich James erzählen musste.
Denn: Diese Leute waren Flüchtlinge und hatten es verdammt eilig, von hier
wegzukommen – da lag doch die Vermutung nahe, dass die sich an solche Schlepper
wandten, wie James sie suchte. Und die fand man vielleicht bei eben dieser
Salz-und-Seide-Handelskompanie! Sie war im Affentempo mit ihren Eimern ins
Lager zurückgestürmt – aber James war noch gar nicht zurück vom Markt, und als
er dann endlich wiederkam, war er nicht ansprechbar gewesen. Seit den letzten
Tagen in Orolo ging das jetzt schon so. Entweder las er in einem Buch, oder er
amüsierte sich mit diesen bescheuerten Messern, oder er kritzelte in seinem
Heft rum. Wenigstens verdiente er Geld damit. Aber heute musste sie ihn auf
jeden Fall auf die Salz-und-Seide-Spur bringen.
Vor ihr ging es jetzt endlich weiter. Sie war gar
nicht scharf auf das Gedrängel und Geschubse da vorne, heute weniger als je
zuvor, aber als sich die Reihe in Getümmel auflöste, stellte sie sich wieder zu
Marjana und der Karuleiru-Frau und versuchte, etwas von ihrem Gespräch
aufzuschnappen. Die Schwangere war von einer Schweißwolke eingehüllt, die sogar
den sonstigen Gestank hier übertraf. Der Bauch schien ihr fast vor den Knien
Weitere Kostenlose Bücher