Tyggboren (Salkurning Teil 2) (German Edition)
sie
nicht, dass der Typ da um sein Leben kämpfte.
„Und zwar weit weg“, fügte Horgest hinzu. „Solche
Schweine will hier keiner.“
Wenn das so war, dann fragte man sich doch, mit wem er
es überhaupt getrieben haben konnte. Aber James behielt diese Frage für sich.
In seiner Schule hatten genug Leute Horgests Ansicht geteilt. Sogar Leute wie
Adrian und Tim, die beide vergleichsweise tolerant waren, hatten jahrelang
keinen Schwulenwitz ausgelassen. Und er selbst war bestimmt nicht bereit, sich
in dieser Sache zum Vorkämpfer zu machen. Aber der Anblick ihrer praktizierten
Gerechtigkeit hatte seinem Bild von den Peregrini einige ziemlich grobe Striche
hinzugefügt.
Er nahm einen langen Zug aus dem Wasserkrug. Müde war
er nicht mehr. Das Karussell in seinem Verstand nahm gerade wieder Fahrt auf.
Pix hatte ja Recht – er hätte heute Ausschau nach dem Pelektá-Mann halten
sollen. Aber –
Eine Bewegung am Eingang veranlasste ihn, sich
umzudrehen. Hoffentlich nicht noch mal Pix.
Es war nicht Pix. Es war Orla.
Er war so verblüfft, dass er sie zuerst nur anglotzte.
Dann sprang er so hastig auf, dass der Hocker hinter ihm umkippte. Sie stand
einfach da und heftete den Blick mit dieser ausschließlichen Konzentration auf
sein Gesicht, die er schon kannte. Sie kämpfte ums Sprechen. Am Vorabend ihrer
Hochzeit wollte sie also doch noch mit ihm sprechen!
Jetzt wird sie mir erklären, dass sie auf keinen Fall
diesen wurmartigen Petare heiraten kann!, schoss es ihm durch den Kopf. Auf
nichts war er nach diesem Tag mit seiner Urlaubsstimmung weniger vorbereitet – was
er an schützenden Rüstungen besaß, war ihm irgendwo zwischen dem Skrabarr und dem
Strand abhandengekommen. Dabei gab es so vieles, das er vor ihr verbergen
musste! Wenn sie etwas von dem Schrecken in seinen Augen sah, lief sie
womöglich wieder weg. Und dies war immerhin die letzte Gelegenheit, um noch
einmal ein paar Dinge zu klären – Dinge, die ihn immer noch beschäftigten.
„James –“, fing sie an, verstummte dann aber. Hatte vielleicht
wieder vergessen, was sie sagen wollte? Es war zum Verrücktwerden!
Ihre weiße Bluse war verrutscht, sie saß so schief,
dass er den Träger eines weißen Unterteils auf der einen Schulter sehen konnte.
Die Schulter selbst auch. Und ein Knopf war nicht zugeknöpft. Instinktiv wusste
er, dass sie sich eben noch umgezogen hatte. Hatte vielleicht anprobiert, was
sie morgen tragen würde?
Sie bemerkte seinen Blick und tastete nach ihrer
Schulter. Schwarze, krümelige Erde klebte an ihren Fingern. Sie hinterließen
einen dunklen Fleck auf dem weißen Stoff, als sie die Bluse zurechtzog. Eine
Wehe heftiger Zärtlichkeit durchfuhr ihn, getränkt von dem Gefühl, dass er sie
vor drohendem Unheil bewahren musste.
Seit dem Tag des Schädelpflückers hatte er mit den
Resten seines gesunden Menschenverstands gegen das angekämpft, was er bei ihrer
ersten Begegnung in Orolo empfunden hatte: Wiedererkennen, Vertrautheit, Nähe.
Weil diese Gefühle nicht seine eigenen sein konnten, weil sie die Gefühle des
Forlorners sein mussten. Weil Aubreys Geliebte wie Orla ausgesehen hatte … und
wie die ermordete Amelia Birchiter. Es war nicht James Barrett, der Orla immer
wieder ansehen wollte, sondern Aubrey Pennebrygg. Und mit dessen Gefühlen
wollte er möglichst wenig zu tun haben.
Aber alle Vernunft – konnte man das wirklich Vernunft
nennen?! – all diese angestrengten Rationalisierungen waren wie weggewischt,
als sie jetzt wieder vor ihm stand. Sie war Orla, und sie war ihm
vertraut, und sein Herz flog ihr zu.
„Du wolltest mir was sagen, an dem Morgen in Orolo,
erinnerst du dich?“, fragte er behutsam, um sie zum Reden zu ermutigen und
nicht zu verscheuchen. „In dem Garten, wo die Falter lagen, weißt du noch? Da wolltest
du mir etwas sagen, aber du hattest vergessen, was es war –“ Als sie nicht
reagierte, versuchte er es mit etwas anderem, das ihm in Orolo keine Ruhe
gelassen hatte. „Als wir uns das erste Mal begegnet sind, da wusstest du schon,
wer ich bin – du kanntest meinen Namen, du hast sogar gewusst, dass wir uns
treffen würden – woher?“
Halt die Klappe, Mann!, ermahnte er sich. Lass sie reden! Aber jetzt blubberte es wie von selbst aus ihm heraus – bevor sie gehen
und wieder alle Antworten ungesagt mit sich nehmen konnte. „Ich weiß, ich
überfall dich mit Fragen – es ist nur – ich muss das wissen, Orla! Für mich geht
alles durcheinander – ich kann’s dir nicht erklären,
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