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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Aggressionen, sondern ein ganz normaler, süßer kleiner Bub, der lediglich weniger sprechen kann als Anneli, dafür aber um so besser allein spielen. Das oben geschilderte Verhalten habe ich am Strand bei allen anderen Buben, gleich ob deutsche oder italienische, ebenfalls beobachtet. Schubsen und Wegnehmen scheinen im sozialen Leben männlicher Kleinkinder einen besonderen Stellenwert zu haben. Daß Anneli nie zurückhaut, wundert mich erst, doch dann merke ich beim Blättern im Tagebuch, wie oft ich ihr das untersagt hatte. Komischerweise stimmen auch hier meine Feststellungen wieder mit der Theorie überein. 11
    Mich nervt Annelis Brüllerei und ihre ständige Suche nach neuem Spielzeug, ihr Ausweichen. Mich nervt, daß den Buben nie ihr Verhalten untersagt wird.
    Ich diskutiere daher mit Christa und anderen Söhne-Müttern dieses - wie es scheint nur für mich als Tochter-Mutter bestehende - Problem. Ich frage sie auch, warum sie so gut wie nie eingriffen.
    Nun wird ausnahmslos von allen Söhne-Müttern die These und Forderung aufgestellt, daß in Reibereien der Kinder nicht eingegriffen werden dürfe; die Kinder hätten Konflikte unter sich (sie sind eindreiviertel Jahre alt) selbst auszutragen. Und ganz besonders wichtig sei es dabei, daß die Mädchen sich gegen Buben wehren lernen müßten. Franziska drückt es so aus:
    »Ja, willst du denn so ein beschütztes und behütetes Mädchen, so ein Rühr-mich nicht-an? Ausgerechnet du solltest doch Wert darauf legen, daß sie sich später im Kindergarten und in der Schule handfest mit den Buben auseinandersetzen kann, sich nichts gefallen läßt und mit ihnen auch konkurrieren kann. Dazu gehört die frühe Übung, meine Liebe. Das Mädchen muß lernen, sich zu verteidigen, und im Kampf zur Selbsthilfe greifen, nicht immer bloß abhauen oder zur Mama laufen. Schließlich müssen die Mädchen später als Frauen ja auch im Leben mit den Männern zurechtkommen und sich wehren können.«
    Stimmt ja alles. Trotzdem gefiel es mir nicht. Konkret sah es so aus, daß Anneli lernen sollte, ebenso aggressiv zu sein, wie ihr begegnet wurde.
    Claudia, Schorschis ältere Schwester, forderte sie einmal auf: »Hau zurück.« Sie tat es. Daraufhin schlug Schorschi ebenfalls wieder zurück, und es war ein widerwärtiges Schauspiel, das sich da bot. Zwei kleine Kinder, die aufeinander losgehen. Am Ende kam Anneli zu mir und brüllte laut: »Schorschi haut imma.« Sie sah ebenfalls das Nutzlose dieser Situation. Für mich ist dieses von Söhne-Müttern aufgestellte Postulat der Selbstregulierung in den Beziehungen der Kinder und des Sich-Wehren-Lernens der Mädchen wieder einmal die Lüge, mit der Mädchen hinters Licht geführt werden. Von den männlichen Kindern werden, ohne daß Gewalt und Wegnehmen von den Erwachsenen mißbilligt würden, die Verhaltensmuster vorgegeben, an denen sich die Mädchen zu orientieren haben, gleichgültig, ob es ihrer momentanen Stimmungslage entspricht oder nicht. Die Anpassungsleistung wird vom Mädchen gefordert, und zwar gerade im Hinblick darauf, daß dies lebenslang so sein wird, daß sie sich immer an den Männern zu orientieren haben wird. Dies scheint mir die moderne Variante der Anpassung unter dem anderen Vorzeichen. Ganz anders dagegen beim Buben. Er wird so aggressiv, wie er ist, akzeptiert. »Das ist einfach so, daß Buben leichter zuhauen«, ist zu hören. Da kann es passieren, daß die Sohn-Mutter in einem Workshop gewaltfreies Blockieren und Demonstrieren übt und sich zur Friedensbewegung zählt, gleichzeitig aber ihren Sohn im Sandkasten gewähren läßt, wenn er seine Aggressionen an anderen Kindern übt. Unabhängig nun davon, wie das Mädchen lernt, mit der Aggressionssituation umzugehen, wird es dabei jedoch für sich die Botschaft verstehen, daß sie etwas zu lernen hat, etwas, das sich an den Buben orientiert. Sie soll so handeln wie die Buben. Die machen es offenbar richtig, denn sie können bleiben, wie sie sind.
    Nie dagegen hören die Kinder, daß Gewalt grundsätzlich kein Mittel der Auseinandersetzung sei, und schon gar nicht, weil Mädchen das nicht wollen. Warum fällt den Söhne-Müttern eigentlich nicht ein, daß ihre Söhne später im Leben ja mit Frauen auskommen müssen, vorher schon in Kindergarten und Schule, und daß Mädchen und Frauen Gewalt, Hauen und Schubsen nicht mögen. Warum also sagt niemand zu den kleinen Buben: »Laß das, das mögen Mädchen nicht«, statt zu Mädchen: »Wehr dich gegen die Buben«?

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