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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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gegen eine fremde Person, die in ihr Revier, das sie sich mit dem Freund eingerichtet hat, eindringen will. Das ist meine Interpretation. Die beiden anderen Mütter sehen das anders, denn sie kommentieren lauthals das Verhalten so: »Da guck einmal, wie Erich von Stefanie umsorgt wird. Er kümmert sich um nichts, und sie sorgt für ihn. Er ist eben ein typischer Mann!« (Er ist ein Jahr, acht Monate alt).
    Fünf Minuten später wird in dem Gespräch festgestellt, obwohl beide Mütter Anneli überhaupt nicht näher kennen, daß
    Erich zwar der Jüngste, aber auch der Frechste von allen sei, er sei eben ein typischer Bub. Erich hatte nämlich mit Sand geschmissen; ich halte das für ziemlich geschlechtsneutral bei Kindern.
    Etwas später bekommt Erich von seiner Mutter eine Saftflasche in die Hand gedrückt, und er geht mit der Flasche weiterspielen. Irgendwann läßt er die Flasche auf dem Weg liegen, er braucht sie nicht mehr, bringt sie aber auch nicht seiner Mutter zurück. Kurz darauf sagt Anneli zu mir in dem Ton, in dem sie zur Zeit alle Geschehnisse des Lebens kommentiert (wie zum Beispiel: »Müllmann Krach«): »Erich Flasche verloren« und bringt sie mir. Die beiden Mütter sind hellauf begeistert über das »fürsorgliche Nachtragen« von Erichs Flasche und davon angetan, daß auch Anneli Erich umsorgt. Sie ergehen sich laut und deutlich vor den Ohren der Kinder darüber, wie rührend Mädchen schon in so jungem Alter um die »Männer« besorgt sind. Gleiches bekomme ich wenige Tage darauf von einer Freundin zu hören. Sie stellt immer wieder fest, daß die vierjährige Freundin ihres Sohnes besser über seine Kleidung Bescheid wisse als er selbst und ihm sogar seine Schuhe anziehen könne; im Kindergarten kümmere sich jedenfalls das Mädchen um den gleichaltrigen Buben. Auch eine Kindergärtnerin aus der Nachbarschaft bestätigt mir dieses »fürsorgliche« Verhalten der Mädchen.
    Ich überlege mir, wieviel Können und Geschicklichkeit der Mädchen, die sie den Buben voraus haben, schlicht und einfach uminterpretiert und dann entsprechend ausgenützt wird, etwa zum schnelleren Ablauf von Tätigkeiten in Familie oder Kindergarten, bis daraus eine Gewohnheit wird.
14. Mai 1983 (1 Jahr, 9 Monate)
    Wir sahen vor einiger Zeit an der drei Jahre alten Tochter eines befreundeten Künstlers einen von ihm gemachten Ring, der uns sehr gut gefiel. Wir bestellten einen für Anneli, den er ihr heute schenkt mit dem Hinweis: »Am Anfang ist es schon ein bißl schwierig, den Kindern das Ringtragen anzugewöhnen, man muß es immer wieder versuchen.« Anneli war begeistert von dem Geschenk, aber mit dem Ringtragen war es genauso, wie er es vorausgesagt hatte. Wir erzählten ihr, daß alle einen Ring trügen, und sie zeigte ihn auch stolz überall her. Aber dann war es aus. Ich gab meine Bemühungen auch bald auf und verlegte das Ringtragen auf Zeiten, in denen sie das Bedürfnis dazu haben würde.
    Ich bin mir ganz sicher, daß weder der Künstler noch wir bei einem Sohn auf die Idee gekommen wären, Mühe auf das Ringtragen zu verwenden, geschweige denn, daß wir ihm überhaupt einen Ring geschenkt hätten. Ich bemerke, daß Anneli aggressiv zu Schorschi ist und ihn fest zu schubsen versucht, ihn auch gelegentlich haut - so wie er sie. Meine Reaktion: Ich untersage es ihr ziemlich laut und deutlich, manchmal schimpfe ich auch. Ich persönlich habe eine tiefe Abneigung gegen körperliche Gewalt und kann mich nicht dazu überwinden, bloß weil die Mädchen wie die Jungen werden sollen, jetzt zuzuschauen. Ich stelle allerdings fest, daß immer ich diejenige bin, die Anneli das Hauen untersagt, daß jedoch Schorschis Mutter ihren Sohn deshalb nur selten zurechtweist.
15. Mai 1983 (1 Jahr, 9 Monate)
    Der Besuch, den Anneli und ich heute nachmittag abstatteten, macht mich nachdenklich. Was war so ungewöhnlich? Es war anders als sonst, wenn wir in einem Haus mit kleinen Buben zu Gast waren. War es die Tatsache, daß der elfjährige Sohn der Gastgeber intensiv und sehr liebevoll mit Anneli gespielt hat, die mir so besonders vorkam? - Ja, das war es! Üblicherweise pflegten nämlich die älteren Buben sich mit der Kleinen in keiner Weise abzugeben, sie überhaupt nicht zu beachten, sie wurde von ihnen schlichtweg nicht bemerkt. Sie signalisierten ihr damit das »Männerverhalten« des Übergehens von weiblichen Personen (siehe l.Mai 1983). Das ist das Normale. Auch ich habe mich schon so daran gewöhnt, daß mich das wohltuend

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