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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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familienfremden Männern: Sie hat gelernt, daß sich die Aufmerksamkeit des Mannes nicht, wie es die normale menschliche Höflichkeit erwarten ließe, auch auf das Kind richtet. (Ich möchte hier nicht unterstellen, daß dies bei einem kleinen Buben anders aussähe.) Der Mann darf also »übergehen«, er hat den Handlungsfaden in der Hand und bestimmt die Aufnahme der Kommunikation zwischen den Menschen. Wenn er dann allerdings das Wort ergreift, dann in dem Ton, mit dem er später, auch in vielen Situationen Kontakt zu Frauen aufzunehmen versucht. Die Mädchen werden so frühzeitig mit Männerverhalten konfrontiert, das ihnen im Verlaufe ihres Lebens noch oft begegnen wird. Es ist der Umgangston. Auf diese Weise merken wir dann später gar nicht mehr, wie herablassend und unverschämt der Ton ist, in dem Männer mit uns umgehen und reden, oder es fällt uns erst ein Weilchen später auf, daß es eine Frechheit ist, wenn der um einige Jahre jüngere Kollege bei der morgendlichen Begrüßung sagt: »Na (wieder dieses Na), guten Morgen, kleine junge Frau« - abgesehen davon, daß er um einige Zentimeter  kleiner ist. Aber »klein« und »groß« hat ja zwischen Männern und Frauen nichts mit Zentimetern zu tun. (Auch das werden die Kinder aufnehmen, wie wir einige Monate später sehen werden.)
3. Mai 1983 (1 Jahr, 9 Monate)
    Oma ist gekommen und spielt mit Anneli..Stofftiere werden in Tücher gewickelt und gewiegt. Oma zeigt es ihr genau, und sie ahmt es eifrig nach. 10 Oma hätte das mit einem Buben nie gemacht.
    Sie hat ihr als Geschenk ein kleines Einkaufskörbchen mitgebracht. Als wir nachmittags einkaufen gehen, will ich es Anneli automatisch in die Hand drücken und dazu sagen: »Damit du auch eine Einkaufstasche hast wie die Mama.« Mir fällt gerade noch ein, daß ich Anneli auf diese Weise mit meiner Tätigkeit identifiziere und definiere. Natürlich nicht allein mit diesem einzigen Mal »Einkaufstasche-Tragen«. Aber wie oft habe ich ihr die Botschaft »Wie die Mama« bei all meinen täglichen, typisch hausfraulichen Tätigkeiten schon weitergegeben.
    So sein wie die Mama, vermittelt mit der Liebesintimität zwischen Mutter und Tochter, bleibt unser Leben lang haften/
4. Mai 1983 (1 Jahr, 9 Monate)
    Nachdem wir längere Zeit in Berlin waren, sieht Anneli heute ihren Freund Schorschi das erste Mal wieder. Beide freuen sich sehr. Schorschi stößt einen Freudenschrei aus, als er sie sieht, und rennt auf sie zu, um sie zu streicheln. Das Streicheln gleicht aber im Überschwang eher einem Zuhauen. Klaus steht daneben und sagt ziemlich beeindruckt: »Schorschi kehrt so richtig den Buben heraus.« Die Tolpatschigkeit oder körperliche Ungeschicklichkeit von Schorschi im Augenblick der Aufregung wird sofort als männliches Verhalten gedeutet und vor den Kindern auch als solches an- und ausgesprochen. Schorschi wird nicht korrigiert, belehrt oder ermahnt; es wird ihm nicht gezeigt, wie Streicheln geht. Sein  Verhalten bleibt als »männliches« Verhalten einfach stehen. Entspricht es den Erwartungen an sein Geschlecht, dann gibt es daran nichts zu ändern. Und Männer können ja bekanntlich nicht so zärtlich sein!
    Anneli geht daraufhin, als Schorschi sich entfernt hat, zu ihm hin und will ihn umschubsen, wohl als Antwort auf sein Verhalten. Da greife ich ein und untersage ihr nachdrücklich zu schubsen. Ich hatte gerade »meinen« Standpunkt zur Gewaltfrage unter Kindern gefunden und fange damit natürlich gleich bei Anneli an, nicht vorher bei Schorschi. Zufällig oder nicht: Schorschis Verhalten wurde als bubenspezifisch eingeordnet. Es konnte so sein, wie er eben ist.
    Annelis Verhalten wurde unterbunden und hatte Ermahnungen statt Bestätigung zur Folge.
    Christa, Schorschis Mutter, fragt Anneli über ihre Erlebnisse in Berlin aus: »Ja, wie war es denn in Berlin, Annemariele? Hast den Pandabären gesehen?« Es fällt wieder der liebe Ton auf, in dem Christa Annemarie, und dies in der Verkleinerungsform, anspricht.
11. Mai 1983 (1 Jahr, 9 Monate)
    Ich gehe mit Anneli zum Spielplatz. Auf der Bank sitzen bereits zwei Mütter, im Sandkasten die Kinder dazu: Stefanie, einen Monat älter, und Erich, einen Monat jünger als Anneli. Die beiden Kinder kennen sich sehr gut, sie spielen oft zusammen. Anneli ist ihnen fremd. Sie will Erichs Sandschaufel nehmen, der dies nicht bemerkt; da kommt das Mädchen und hält die Schaufel fest. Anneli soll sie nicht bekommen. Ich verstehe Stefanies Verhalten als Verteidigung

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