Typisch Mädchen
eine Frau in dieser Tätigkeit erlebt? Nein, denn der nächste Kinderarzt, zu dem wir wegen der üblichen Vorsorgeuntersuchungen gingen, war natürlich ein Mann. Der Zahnarzt, zu dem sie mich begleitet hat, war ein Mann; der Kinderarzt in Berlin war ein Mann! Ich nehme mir vor, bei der nächsten Gelegenheit ganz bewußt eine Ärztin aufzusuchen, um Anneli die Identifikationsmöglichkeit mit einer Frau zu geben.
Zwei Wochen darauf ist es wegen einer Ohrenentzündung soweit. Ich wähle zwischen zwei homöopathisch ausgerichteten Praxen die der Ärztin aus. Nachdem Anneli wieder gesund ist, spielt sie mit Hanna (drei Jahre) Krankenhaus, krank sein, Unglück usw., und dabei redet sie dann immer wieder von der Doktorin.
Ich deklariere jetzt auch meine Krankengymnastik als Doktorin, um ein vorher entstandenes Ungleichgewicht auszugleichen.
Ich lüge schon wieder!
Anneli kommt von ihrer Babysitterin Tini wieder mit einem knallrot angestrichenen Fingernagel. Sie sagt gleich zur Begrüßung: »Weil ich eine Dame bin.« Schorschi ist dabei; er hat keinen Nagellack. Ich bewundere sehr zurückhaltend und knapp und frage Tini, warum Schorschi keinen Nagellack auf den Fingernägeln trüge.
Da schaltet sich gleich Anneli ein, ohne Tinis Antwort abzuwarten: »Schorschi ist ein Mann und keine Dame. Ich bin eine Dame.« Dann hält sie mir demonstrativ wieder ihren Fingernagel hin. Ich kann mir also vorstellen, was Tini den Kindern erklärt hat.
18. Februar 1984 (2Jahre, 6 Monate)
Wir sind für eine Woche in Südtirol auf einem Bauernhof; in der Familie sind drei Mädchen, Bernadette, vier Jahre, Anna, wie Anneli knapp drei Jahre, und Magdalena, ein Jahr alt.
Die drei größeren Mädchen spielen eine Woche lang zusammen ohne Schubs- und Hauprobleme. Natürlich streiten sie manchmal um den Besitz irgendeines Gegenstandes, aber sonst gibt es keine Probleme. Es fehlt die Aggressivität, die ich von Buben kenne.
Anneli und Anna scherzen zusammen. Sie schubsen sich im Spaß und kichern dazu. Sie loten aus, welche Wirkungen das Schubsen hat, indem sie langsam die Kraft ihrer Stöße steigern. Jede von beiden dosiert dabei genau ihre Körperkraft und geht sehr behutsam mit der anderen um. Bis sie endlich doch beide hinfallen und sich am Boden kugeln, aufeinander, untereinander, hin und her, es ist mehr ein Schmusen als ein Raufen, und sie haben beide großes Vergnügen am engen körperlichen Kontakt ohne eine Spur von Ernst, Aggressivität, Kampf oder Ehrgeiz. Es erinnert mich an Gespräche unter Frauen, wie sie von Senta Trömel-Plötz und anderen Forscherinnen beschrieben werden. 35
Ich unterhalte mich später mit Annas Mutter, Frau Gärtner, über Aggressivitätsprobleme. Sie erzählt, daß Anna einmal ein jüngeres Kind geschubst habe, so daß das Kind hingefallen sei, da habe sie Anna derart geschimpft und wohl auch geschlagen, daß sie es seitdem nie mehr gemacht habe. Ich erinnere mich, daß ich bei Annelis ersten Versuchen in dieser Richtung auch heftig reagiert hatte. Offenbar haben wir Aggressivität bei unseren Mädchen schon in sehr frühem Stadium unterbunden.
Die Kinder spielen hingebungsvoll mit der Klopfbank. Frau Gärtner meint, daß das ein schönes Spielzeug sei, besonders schön wär's aber für einen Buben.
Wir unterhalten uns über ihr viertes Kind und darüber, daß es hoffentlich ein Bub werde. Frau Gärtner stellt fest, daß sie dann ja gar nicht wisse, wie sie einen Buben erziehen solle, sie müsse es erst lernen, weil sie doch bis jetzt bloß Mädchen erzogen habe. Sie spricht in ihrer konservativen Art einfach aus, daß es zweierlei Arten gibt, einem Kind gegenüberzutreten, je nachdem, ob es ein Bub oder ein Mädchen ist.
22. Februar 1984 (2Jahre, 6 Monate)
Wir kaufen in Bozen Schuhe für Anneli und finden genau die richtigen praktischen Schuhe, braun und ohne irgendwelchen modischen Gag. In diesem Laden kaufen die Südtiroler Bauern ein, und dem entspricht der »Modestil«. Ich lehne die Schuhe emotional aber zunächst spontan ab und frage nach anderen Modellen. Die gibt es nicht; Erst jetzt fällt mir ein, warum ich diese richtigen Schuhe nicht kaufen will. Ich halte sie für Bubenschuhe, denn es ist durch gar nichts an den Schuhen zu erkennen, daß sie für Mädchen sind. Aber was heißt das schon? Was macht einen Schuh zum Mädchenschuh? Ich erkenne den Unsinn, und erst jetzt ist es mir möglich, die Schuhe, die Anneli dann sehr liebt und die sich auch als sehr praktisch erweisen, zu kaufen. Hätte
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