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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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plötzlich Bier trinken. Sie bekommen etwas in ihre Gläser - es ist alkoholfreies Bier. Sie prosten sich zu und freuen sich gewaltig über ihre Wichtigkeit. Da sagt Anneli: »Jetzt sind wir Männer«, Schorschi als Echo: »Wie die Männer.« Auf meine Frage, warum sie denn jetzt Männer seien, kommt als Antwort: »Weil wir Bier trinken.«
    Hinterläßt denn in der Kinderseele alles seine Spuren? Auch die Tatsache, daß ich so gut wie nie Bier trinke, was aber nie Gegenstand eines Gesprächs war? Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß aus diesem schlichten Verhalten Kinder Schlüsse zur Einteilung der Welt in »Mann« und »Frau« ziehen.
19. April 1984 (2Jahre, 8 Monate)
    Auf der Reise nach Berlin ahmt Anneli im Auto Tierstimmen nach, unter anderem ein Lamperl (Schäfchen) mit seiner ganzen Tierfamilie: Das Lamperl hat eine ganz hohe Stimme und gibt halb weinerliche, mitleidheischende Laute von sich; Mama Lamperl genauso, Papa Lamperl dagegen hat eine ganz tiefe und feste Stimme. Ich rege an, daß sie das Ganze noch einmal spielt. Beim zweiten Mal variiert sie die Stimme von Mama Lamperl etwas. Sie fällt eine Spur weniger weinerlich aus. Beim dritten Mal ist es wieder wie beim ersten Mal. Kind und Mutter werden auf eine Stufe gestellt, der Vater ist das andere.
22. April 1984 (2Jahre, 8 Monate)
    Wir sind in einer Ausstellung. Unter anderem ist die Fotomontage einer Frau zu sehen mit dem Titel »Erinnerung an Nina und Nik«. Bei Nina ist ein Plisseekleidchen für ein Baby zu sehen mit einem Blumenkränzchen für den Kopf. Den Buben symbolisieren eine Strampelhose, eine Mütze und eine Holzklapper mit drei Holzkugeln. Wie erstaunlich, wenn in den theoretischen Abhandlungen immer die Rede davon ist, daß Buben von vornherein anderes Spielzeug in die Hand bekommen als Mädchen; in diesem Fall erhält sie nicht einmal eines, sondern besteht lediglich aus Schmuck - sie hat ja bekanntlich ein angeborenes Schmuckbedürfnis! Wir fahren nachmittags zum Wannsee. Die Motorräder flitzen nur so an uns vorbei. Anneli ist noch genauso fasziniert davon wie vor einem Jahr. Wie alle anderen Kinder. Und dann stellt sie fest: »Gell, Mami, wenn ich groß bin und ein Mann, dann tu ich auch Motorradi fahren und sause hui, brmm, brmmmmm...«
    Offenbar haben ihre Beobachtungen vom vorigen Jahr Früchte getragen. Die Zuordnung des Motorrades zum Mann sitzt fest in ihrem Kopf und muß, wenn sie tatsächlich später Motorrad fahren will, erst mit Energie rückgängig gemacht werden - oder sie läßt es eben sein.
26. April 1984 (2Jahre, 8 Monate)
    Die Kinder trudeln langsam im Kinderladen ein. Es ist noch früh. Sie sitzen im Sandkasten, einige Eltern außen herum und plaudern. Es geht um Spielzeug, speziell um Duplo-steine.
    Annegret, eine Mutter, bedauert, daß das Spiel nur so wenige Männchen habe. Wir alle versuchen, die Männchen in ihren verschiedenen Funktionen zusammenzuzählen: »Der B agger-führer, der Bauer, der Tankwart, der ... usw.« Da stellt sich heraus, daß von den zehn Männchen zwei eigentlich Weibchen darstellen sollen, denn sie haben blondes Haar und angedeutete Zöpfe. »Ja so etwas« - wir sind alle überrascht. Annegret bemerkt: »Ich hab zwar schon irgendwie gewußt, daß bei den Duplo auch zwei Mädchenfiguren dabei sind, aber ganz klar war mir das wohl doch nicht, denn ich hab eigentlich immer nur von den Männchen geredet, selbst wenn ich mal die Mädchen meinte.« Sie stellt sich die Frage: »Wie kommt denn das ?« Die anderen stimmen bei, ihnen geht's genauso. Ich weiß es auch nicht, wieso das so ist. Die Welt besteht eben in erster Linie einmal aus Männchen - auch für uns fortgeschritten Emanzipierte aus dem Berliner Kinderladen. Wie soll da ein Bub auch anders empfinden, als daß er zum bestimmenden Teil der Menschheit gehört. Selbst in den überaus harmlosen Duplosteinen liegt »die Atmosphäre«, in der aus zarten männlichen Babys starke Männer werden.
    Immer wieder sage ich: Der Opa und die Oma; der Bauer und die Bäuerin; der Mann und die Frau; der Bub und das Mädchen; der Lehrer und die Lehrerin. Ich fühle mich wie ein Sprachautomat, der auf ein Programm geschaltet ist, das lautet: Männer immer zuerst. Und erst, seitdem ich mein Sprachverhalten beobachte, merke ich, in welcher Art und Weise ich Sprache gebrauche. Ich habe es wohl - ebenso wie Anneli von mir - von meiner Mutter gelernt, immer zuerst den Mann zu benennen. Auch so entsteht männliche Dominanz, ohne daß dem irgendeine

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