Typisch Mädchen
und auch gelesen, daß Mädchen die Buben bedienen und über deren Sachen besser Bescheid wissen als die Buben selber. Ist das der Anfang? Erst kann das Mädchen als das gelehrigere Kind diese Dinge besser und zeigt es aus berechtigtem Stolz vor. Dann wird es von der Mutter dazu angehalten, weil es schneller und einfacher geht und eine Erleichterung im Haushalt bedeutet.
Der Bub wird in seinem Ehrgeiz in dieser Beziehung nicht angestachelt, denn ein Mädchen kann für einen Buben nur in den seltensten Fällen Vorbild sein. Daraus ergibt sich das alte Bedienungsritual; aus der Stärke des Mädchens erwächst im Leben die Bürde des ewigen »Sich-verantwortlich-Fühlens« für andere, speziell für die Männer. Der positive Ausgangspunkt der Geschicklichkeit wendet sich ins Gegenteil.
15. April 1984 (2Jahre, 8 Monate)
Anneli und ich sind bei Elisabeth und Martin. Unter den Spielsachen liegt ein Kinder-Quartett, und ich sehe es mir an.
Mädchen sind folgendermaßen dargestellt: im Regenmantel mit Schirm, im langen Spitzennachthemd mit Puppe auf dem Schoß; beim Malen, Einkaufen, Schaukeln, Ballspielen, im Sand spielend, mit dem Bären, beim Schlittschuhlaufen im Röckchen, beim Wäscheaufhängen, beim Flötespielen, einen Hasen auf dem Arm streichelnd, beim Spazierengehen, Kuchen im Schürzchen hereintragend, im Bett liegend.
Buben sind bei folgenden Tätigkeiten dargestellt: einen Hund an der Leine spazieren führen, Wäsche tragen, Schneemann bauen, Sandturm bauen, Fußball spielen, angeln, mit Schulranzen in die Schule gehen, als Maler, beim Trommeln, beim Rollerfahren, als Kaminkehrer, als Koch, im Regen ohne Schirm, beim Wandern mit Rucksack, Stock und Hut, beim Einkaufen mit Körben. Ich glaube, der Unterschied ist augenfällig, nur das Einkaufen haben Mädchen und Buben gemeinsam. Martin hat gleichzeitig Besuch von einem gleichaltrigen Buben namens Oliver (vier Jahre). Oliver ist weder sprachlich noch körperlich in den Bewegungen so sicher und reif wie Anneli, wie sein Vater mir gegenüber selbst bekundet. Alle Kinder müssen pinkeln. Die Buben stehen, ich will Anneli abhalten. Da ruft Oliver erstaunt in total abschätzigem Ton: »Ach, die ist ja ein Mädchen.« Sofort wird Anneli zappelig, kann nicht mehr pinkeln und will partout stehen. Es geht dann erst wieder, als die Buben weg sind. Natürlich hat Oliver diesen Tonfall zum Thema Mädchen irgendwo aufgeschnappt; dennoch weiß er, was er wert ist, auch wenn er im Vergleich sonst schlecht abschneidet. Und das nur weil er im Stehen pinkeln kann. Es ist so absurd wie snäter im Berufsleben. Die Frau mag wissen, was sie will, so weit wie ein Mann darf sie es in der Regel einfach nicht bringen. Die Weiche ist bereits jetzt in den Gehirnen unserer Kinder gestellt. Anneli hat die Szene sehr beeindruckt und irritiert, sie macht einige Tage lang Schwierigkeiten beim Pinkeln.
16. April 1984 (2Jahre, 8 Monate)
Schorschi und Anneli im Auto: Sie unterhalten sich ohne irgendeinen äußeren Anlaß über die Busen ihrer Mamis und darüber, wie groß bzw. wie klein die der Kinder seien. Jedes Kind versichert dem anderen die Wichtigkeit des Busens und daß es einen habe, auch Schorschi. Sie spielen sich gegenseitig oft »Busen« vor. Ich registriere, daß Busen für die Kinder sehr, sehr wichtig ist, der Schwanz dagegen weniger Bedeutung hat, mindestens aber nicht wichtiger ist als das Geschlechtsmerkmal Busen. Es beschäftigt nicht nur die Kinder, auch meine Gedanken waren in letzter Zeit darauf gerichtet, und ich stellte fest, daß das Phänomen des Busenneides von Freud erkannt und behandelt worden war, aber in die für Laien verständliche Literatur kaum Eingang gefunden hat. Warum wohl ist nur von Penisneid so häufig die Rede?
17. April 1984 (2Jahre, 8 Monate)
Wir sitzen am Tisch beim Abendessen. Schorschi ist auch da. Die Kinder trinken Mineralwasser, ich nichts, Klaus Bier. Die Kinder unterhalten sich, und Anneli erklärt Schorschi, daß ihr Papi Lehrer sei. (Er gibt einmal die Woche Unterricht.) Schorschi sagt: »Deine Mami ist auch Lehrerin«, da antwortet Anneli: »Nein, meine Mami ist die Lehrersfrau.« Sie weiß genau von der Turnstunde und Schulbesuchen her, was eine »Lehrerin« ist. Ich bin betroffen und mische mich ein, sage, daß ich auch manchmal Lehrerin bin (meine Lehrgänge!). Erst dann gibt Anneli dies Schorschi gegenüber zu. Primär bin ich in ihrer Vorstellung aber die Frau des den Beruf bestimmenden Mannes.
Nach dem Essen wollen die Kinder
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