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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Leistung gegenübersteht.
7.  Mai 1984 (2Jahre, 9 Monate)
    Eine befreundete Bäuerin aus Bayern, selbstbewußt und mit beiden Beinen im Leben stehend, macht sich auf in die Weltstadt Berlin. Sie ist bei uns zu Besuch. Nachdem sie sich fürs abendliche Ausgehen zurechtgemacht hatte, bei dem Anneli sehr interessiert zusah, sagt Anneli plötzlich zu ihr: »Wenn ich groß bin, bin ich dann auch eine Frau?«
    Ottilie antwortet mit einem schlichten »Ja«.
    Anneli daraufhin: »Wenn ich groß bin, bin ich dann ein Mann  oder bloß eine Frau?«
    Ottilie widerspricht spontan sehr heftig: »Du bist guad, was hoaßd da bloß - des is doch toll, des is ja wos ganz wos scheens. Wo hosd denn den Schmarrn her?« Ich freue mich sehr über die echte Entrüstung von Ottilie und über ihre Entgegnung, Emanzipationsliteratur hatte sie noch nicht gelesen, gab aber Anneli spontan die einzig richtige und angemessene Antwort. Ob etwas hängenblieb?
    Sabine, meine Freundin, will Anneli auf den Schoß nehmen. In hoher Stimmlage mit einschmeichelndem Ton wendet sie sich an Anneli und streckt zugleich die Arme aus, um sie zu fassen und hochzuziehen: »Ach, du meine Süße, komm doch mal!«
    Zufällig kreuzen sich unsere Blicke. Wir hatten eben über das entstehende Buch diskutiert, und Sabine war voller Wut. Sie läßt die Arme sinken, wechselt ihre Körperhaltung, beugt sich nicht mehr auf Anneli gerichtet vor, sondern lehnt sich jetzt lässig auf dem Stuhl zurück. Dann richtet sie noch mal das Wort an Anneli, in sachlichem Ton: »Was is, na kommste mal zu mir hoch, oder rennste lieber rum?« Is doch gleich was anderes, nich?
11. Mai 1984 (2Jahre, 9 Monate)
    David schleppt ein kleines Buch von Janosch zu mir. Anneli und er wollen es erzählt bekommen.
    Es handelt davon, wie Männer auf dem Bauernhof Holz hak-ken, schleppen und Trecker fahren (wieder einmal) und die Mutter die Wäsche aufhängt. Ich lese vor:
    »Der Ball, der Ball fliegt hoch hinauf, die Mutter hängt die Wäsche auf, der Vater ruft den Florian, der Florian spannt die Pferde an..,«
    Es ist kaum zu glauben: beim Lesen der ersten beiden Zeilen ist meine Stimme normal, fröhlich; doch in der dritten Zeile wechselt die Stimme. Sie wird tiefer, die Worte werden langsamer und gewichtiger. Klar, jetzt handelt die Geschichte ja auch von einem Vater und einem Buben. Etwas später sitze ich wieder an der Schreibmaschine, aber David will mit mir spielen. Ich drücke ihm Papier und Bleistift in die Hand und will sagen: »Hier kannst du Männchen malen!«
    Schon wieder die Männchen. Ich verschlucke es, bin aber dann für einen Augenblick sprachlos. Was setze ich denn jetzt bloß an die Stelle der Männchen? Frauchen etwa? Ich weiche darauf aus, ihn Babys malen zu lassen.
    Auf der Stadtautobahn sind wieder schrecklich viele Motorräder vor uns, hinter uns, überholen uns. Anneli ist hingerissen. Seit sie vor wenigen Tagen im Circus Busch zwei Bären hintereinander sitzend Motorrad fahren sah, richtet sie jetzt ganz besonders ihr Augenmerk auf die Motorräder, auf denen zwei Personen sitzen. Jedesmal bemerkt sie: »Der Mann sitzt vorne, und die Frau hält sich hinten bei ihm fest.« Als ein unbeweibter Motorradfahrer zu sehen ist, sagt sie: »Der fährt mit ohne Frau.« Auf meine Bemerkung, daß das ja auch eine Motorradfahrerin sein könne, bekomme ich zur Antwort: »Nein, weil er einen schwarzen Helm auf hat.« Ich entsinne mich eines besonders männlichen Prachtexemplars, dem Anneli vor wenigen Tagen, als sie bewundernd vor der geparkten »BMW« stand, fasziniert zusah, wie er sich in höchst bedeutungsvoller und wichtigtuerischer Art zur Fahrt fertigmachte und einen schwarzen Helm aufsetzte. An so winzigen Details machen Kinder die Geschlechtszuordnung fest.
    Sie schwärmt weiter vom Motorradfahren, setzt sich im Auto auf den Kardantunnel und macht »brm, brm«. Ich sage zu ihr: »Wenn du groß bist, kannst du auch eine Motorradfahrerin werden.« Sie plaudert sofort weiter: »Ja, dann fahren der Jonathan (ihr spezieller Freund aus dem Kinderladen) und ich, wenn wir groß sind und Männer, wenn wir große Männer sind, mit dem schwarzen Helm ganz schnell Motorrad.« Auf meinen Einwurf, das könne sie doch auch als Frau, bekomme ich empört zu hören: »Nein, Mami, dann sind wir doch Männer. Ich fahr doch schon mit dem Jonathan im Kinderladen, und ich sitz vorn. Wir sind doch die Männer.« Heute früh beim Anziehen versicherte sie mir noch, eine Frau zu werden. Aber offenbar wechselt

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