Typisch Mädchen
bei mir selbst massive Widerstände gegen die Erfüllung dieses harmlosen Wunsches fest. Schließlich ist er als einziger Bub mit vier Mädchen zusammen im Kinderladen, und zu allem Überfluß trug die Kindergärtnerin, die sonst immer in Hosen erscheint, heute morgen einen Rock. Sein Wunsch scheint also weniger eine tiefgehende psychische Störung anzudeuten, als schlicht und einfach auf Nachahmung zu beruhen. Aber ich überhöre ihn auch jetzt wieder und verlasse den Raum, ohne ihm zu antworten. In mir ist großer Ärger darüber, daß ich ihn einfach nicht in einen Rock stecken kann, ohne es in irgendeiner Weise begründen zu können. Mein Gehirn sucht angestrengt nach Gründen. Gott sei Dank, jetzt kommt mir der rettende Gedanke:
Wir haben ja gar keinen zweiten Rock im Haus. Anneli besitzt nur einen. Doch Schorschi genügt diese Erklärung keineswegs. Er heult vielmehr laut auf. Mir fällt ein, daß wir im Keller Annelis abgelegten Rock vom Vorjahr noch haben. Immer noch habe ich große Hemmungen, ihn Schorschi anzuziehen. Es kommt mir wie eine Kinderschändung vor. Ich fürchte mich auch vor Christa, seiner Mutter. Beim Anziehen von Schorschi denke ich dann die ganze Zeit: »Na, wie gut, daß Christa seine Mutter ist, die kapiert das schon; die macht auch bestimmt mit und lacht ihn nicht aus oder ist beleidigt deshalb.« Dabei habe ich das Gefühl, als würde ich ein ganz besonders kostbares Schmuckstück der Mutter entehren. Da ich mir der Einstellung von Christa si cher bin, wage ich es also. Bei allen anderen Söhne-Müttern, die ich in München kenne, hätte ich mich nicht getraut, den Wunsch des Buben zu erfüllen.
Schorschi bekommt also auch seinen Rock, und er hüpft vergnügt damit herum.
Der Kinderladen sammelt sich. Kein Kind verliert ein Wort über Schorschi. Auch Christa erfaßt sofort die Situation, als sie ihn sieht, und sagt nichts. In den Augen einer Mutter spiegelt sich allerdings großes Erstaunen, und die anderen Erwachsenen können sich einige Witzchen und Bemerkungen nicht verkneifen; je nach Temperament mit unterschiedlicher Geringschätzung über diesen »Aufzug«. Ich verstehe jetzt, warum Buben alles, was mit Mädchen zu tun hat, abwerten und lächerlich machen. Zum einen wird ihnen verwehrt, gleiches zu tun, also bleibt nur die Flucht in eine aus diesem Grunde positiv bewertete Männlichkeit. Zum anderen lernen sie unmittelbar durch das Vorleben und Verhalten der Erwachsenen, daß das für sie nicht in Frage Kommende grundsätzlich lächerlich ist. Eigentlich schade! Ich finde, dadurch wird ihnen etwas genommen.
20. September 1984 (3Jahre, 1 Monat)
Nach einem schönen Ferientag mit Freunden gehen wir zum Abendessen in ein Gasthaus. Anneli und ich nehmen auf einer Bank Platz. Sie klettert von der Rückwand der Bank auf einen Mauervorsprung und kann dort kniend durch ein Fenster in die Küche des Gasthauses sehen.
Während die Erwachsenen bestellen und sich unterhalten, gibt es für Anneli nur eines: immer wieder rauf- und runter-zuklettern. Besonderes Vergnügen hat sie offenbar daran, daß sie mit dem Küchenpersonal feixen kann. Da kommt die Wirtin und meint: »Ja, Bua, g'fallt dir des da oben so guat, daßd imma wieda aufi gleddersd?« Anneli sieht sie irritiert an und antwortet: »Ich bin doch ein Madl.«
Die Wirtin: »Jetzt hab i dengd, du bisd a Bua, weilsd so guad gleddern konnsd.«
Da wirft ein anderer Gast ein: »Nein, die ist doch ein Madl, weil sie sich so für die ICüch interessiert.«
21. September 1984 (3Jahre, 1 Monat)
Anneli und ich fahren mit dem Auto in die Stadt, um Klaus vom Büro abzuholen. Wir parken auf dem Betriebsparkplatz und müssen einen entsprechenden Ausweis vorzeigen. Anneli möchte den Ausweis vorgelesen bekommen. Ich lese vor: »Das Auto gehört Klaus.«
Sie antwortet empört: »Nein, Mami, das stimmt gar nicht, das Auto gehört doch uns; dir und mir und dem Papi, gar nicht dem Papi allein.«
Das war ja auch wirklich sehr dumm von mir. Gott sei.Dank ändert sich etwas. Ich war froh über diese Belehrung. In letzter Zeit sagt sie oft abends nach dem Abendessen, je nachdem, wer von uns gekocht hatte: »Papi (oder Mami), das hast du aber gut gekocht.« Und bei Papi gibt es genauso oft zu loben wie bei mir. Daß Männer kochen, wird für Anneli im Gegensatz zu mir selbst noch aus ihrer Lebenserfahrung heraus eine Selbstverständlichkeit sein.
Sie spielt abends Clown und zaubert: »Hokus pokus fidibus, akra kadabra simsalabim, dreimal schwarze
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