Typisch Mädchen
wiedergegebenen Zitate lassen erkennen, daß Maßstab zur Klärung von Phänomenen immer das Männliche ist. Eine Theorie, die sich nicht von ihrer eigenen Subjektivität lösen kann, die sich in den eigenen männlichen Vorurteilen verstrickt, ist daher nach meiner Meinung am allgemeingültigen Anspruch von Wissenschaft gemessen, nicht geeignet, geschlechtsdifferentielles Verhalten zu erklären.
Im übrigen sehen wir selbst an Annelis Erlebnissen, was es mit der Entstehung des Penisneides und der Erkenntnis des Mädchens von seiner angeborenen Minderwertigkeit auf sich hat. Dazu bedarf es keiner weiteren theoretischen Gegendarstellung. Die beobachtete Realität, gemessen an der Theorie, läßt die Irrtümer Freuds erkennen.
Analytikerinnen haben im Gegensatz zu seinen Deutungsversuchen in den 30er Jahren Ansätze gemacht, einen eigenen Weg zur Erklärung geschlechtsunterschiedlichen Verhaltens zu gehen. Sie diskutierten die These, daß Mädchen ihre Sexualität bereits im Säuglingsalter grundsätzlich anders erleben als Buben und eine Parallele Klitoris/Penis bei Lusterzeugung und Lustempfinden nicht gezogen werden könne. Sie glaubten, durch beobachtetes Sexualempfinden bei Säuglingen und etwa neun Monate alten Mädchen den Schluß auf ein eigenes Empfinden von Sexualität, lange Zeit vor der von Freud angenommenen phallischen Phase, ziehen zu können. Daraus leiteten sie eine eigenständige weibliche sexuelle Entwicklung beim Mädchen ab. So erwache weibliche Sexualität nicht erst in der Feststellung der Kastration, des Nichtvorhandenseins eines Penis beim kleinen dreijährigen Mädchen. Deshalb lehnten die Wissenschaftlerinnen die Entstehung des Penisneides aus anderen als kulturell bedingten Gründen ab.
Der sozialistische Ansatz
Grundsätzlich wird in der sozialistischen'Theorie vom Ursprung aller gesellschaftlichen Erscheinungsformen in ökonomisch bedingten Ursachen ausgegangen. Marx umriß diesen Ausgangspunkt aller Theorie mit dem Wort: »Das Sein bestimmt das Bewußtsein.« 20 Konsequent wird demgemäß im sozialistischen Denkansatz fatalistischen, biologischen und religiösen Ursachenerklärungen für menschliche Institutionen abgeschworen. Alles Menschenwerk kann radikal, plötzlich und auch gewaltsam verändert werden, je nachdem, wie sich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse gestalten. Nichts wird für ewig geschaffen gehalten oder als von der Natur so gewollt hingenommen. Gehen die sozialistischen Theoretiker daher von der ökonomisch begründeten Entstehung der Unterdrückung aus, so läßt sie sich folgerichtig dadurch beseitigen, daß die ökonomischen Verhältnisse geändert werden.
Bebel drückt dies so aus: »Die volle Emanzipation der Frau und ihre Gleichstellung mit dem Mann ist eins der Ziele unserer Kulturentwicklung ... sie ist nur möglich aufgrund einer Umgestaltung, welche die Herrschaft des Menschen über den Menschen - also auch des Kapitalisten über den Arbeiter -aufhebt... Die Klassenherrschaft hat für immer ihr Ende erreicht, aber mit ihr auch die Herrschaft des Mannes über die Frau.« 21
Die Sozialisten - und unter ihnen besonders Engels und B ebel - waren zu ihrer Zeit im ausgehenden 19. Jahrhundert die einzige politisch wirkende Kraft, die neben den entstehenden Frauenverbänden die Unterdrückung und Ungleichheit der Frau als politisches Unrecht ansah und für deren Abschaffung kämpfte. 1879 schrieb Bebel: »Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitete, auf die Eroberung politischer Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht unrecht sein. Unterdrückt, rechtlos, vielfach hintangesetzt, haben sie nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, sich zu wehren und jedes ihnen gut scheinende Mittel zu ergreifen, um sich eine unabhängige Stellung zu erobern.« 22
Um für die Abschaffung dieser Unterdrückung zu kämpfen, hatten sich die Theoretiker auch Gedanken zur Entstehung gemacht. Denn es war für sie methodisch notwendig, den historischen Ursprung und die ökonomischen Ursachen zu kennen und zu analysieren, um an der richtigen Stelle im politischen Kampf anzusetzen.
Am intensivsten hatte sich Engels in seinem Werk »Vom Ursprung der Familie und des Privateigentums« mit dieser Frage auseinandergesetzt und festgestellt, daß »der Umsturz des Mutterrechts die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts war. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt,
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