Typisch Mädchen
Liebesobjekt zu wechseln. Da die Mutter ihm den Wunsch, einen Penis zu besitzen, nicht erfüllen kann, erwartet sie sich dies vom Vater. Aber auch der Vater versagt ihm den Wunsch nach einem Penis in Form eines Kindes. Dies erkennend, verläßt es die Vaterbindung allmählich unter dem Eindruck der unausbleiblichen Enttäuschung.
Die ödipale Konfliktphase hat sich in günstigen Fällen aufgelöst. Die Frau ist fähig, sich dem Mann hinzugeben, um das Kind von ihm zu empfangen. Reagiert das Mädchen nun auf den Kastrationskomplex in der Form, daß es seine Weiblichkeit ablehnt, eigensinnig nach einem Penis verlangt und sich mit dem Vater identifiziert, so wird diese Haltung dazu führen, daß sie als Frau im klitoralen Stadium stehenbleibt, frigide wird oder sich der lesbischen Liebe zuwendet. In diesem Fall ist ihre Entwicklung zur Frau nicht gelungen, Beim Buben hingegen wird der Ödipuskomplex abrupt mit der Kastrationsangst, der Furcht, seinen Penis durch den Vater zu verlieren, wenn er dessen Gebote nicht befolgt, beendet. Da das Mädchen keinen Penis hat, ist ihre Angst vor Kastration durch den Vater wegen Verletzung seiner Gebote nicht begründet und daher nicht so stark ausgeprägt. Da der Vater selbst Objekt der Liebe war, hatten seine Verbote gegenüber dem Mädchen weniger Kraft als im Falle des rivalisierenden Sohnes. Er unterdrückt sie daher auch nicht so wie den Sohn. Das Mädchen hat es leichter! Daraus schließt
Freud auf das Vorhandensein einer grundsätzlich anderen psychischen Grundstruktur des Mädchens. Diese ist im Vergleich zu der des Buben schwächer. Beim weiblichen Kind konnte sich wegen des fehlenden Drucks kein so starkes und ausgeprägtes Über-Ich entwickeln. Das Mädchen kann gar nicht zu der Potenz und Unabhängigkeit gelangen wie der Bub. Aus diesem Grunde, erklärt Freud, 19 »fehlt ihr größtenteils das moralische Verständnis; sie neigt dazu, ethisch weniger rigoros zu sein, sie hat von der Gerechtigkeit eine geringere Vorstellung; sie unterwirft sich leicht den Forderungen des Lebens, ist in ihrem Urteil gefühlsmäßigen Voreingenommenheiten ausgeliefert und trägt nichts zur Kultur bei«.
Aus dieser Theorie in all ihren Modifikationen durch jüngere Analytiker wurden dann im Verlauf weiterer Forschungen folgende Wirkungen auf die wahrnehmungs- und antriebsmäßige Entwicklung der Kinder abgeleitet:
1. Mädchen haben ein größeres Anschlußbedürfnis als Jungen, da ihre Lernsituation in der ödipalen Phase wesentlich stärker durch persönliche Bindung und belohnendes Verhalten der Mutter charakterisiert ist.
2. Mädchen sind eher bereit, die Regeln anderer zu akzeptieren. Sie sind mehr als Jungen von den äußeren Bedingungen einer Situation abhängig und zögern mehr als Jungen, davon abzuweichen. Dieses Verhalten wird darauf zurückgeführt, daß es für sie nicht notwendig ist, sich von dem konkreten gegebenen Verhalten der Mutter zu lösen. Sie haben die Mutter sogar nachzuahmen,
3. Jungen haben ausgeprägtere Problemlösungsfähigkeiten als Mädchen, da das Erlernen ihrer Geschlechterrolle die Abstraktion von der gegebenen Situation und ihre Umstrukturierung verlangt.
Den Ansatz Freuds und seiner Nachfolger, der sich in der hier gezeichneten Grundstruktur bis heute wenig verändert hat, als einen Versuch zur Erklärung geschlechtsunterschiedlichen Verhaltens aus heutiger Sicht zu akzeptieren, erscheint mir nicht möglich, da in der Zwischenzeit sehr viel empirisches Material weit über die psychoanalytische Theorie als einziger Erklärung hinausweist. Freuds Theorie hält einer Prüfung auch insoweit nicht stand, als er ohne weitere Pro-blematisierung von der Grundannahme ausgeht, die Frau sei diejenige die sich in den ersten fünf bis sechs Lebensjahren des Kindes diesem ausschließlich widme, während der Vater nur eine sekundäre Rolle dabei spiele. Hauptpartner des ganzen psychischen Geschehens, sowohl Liebes- als auch Aggressionsobjekt, sei immer die Frau. Eine Uberprüfung der psychoanalytischen Theorie auf ihre objektive Stimmigkeit durch Umkehrung der Personen bei der Pflege und Erziehung der Kinder würde ergeben, daß das ganze Gedankengebäude in sich zusammenfiele. Diese Theorie ist daher nur dafür geeignet, Bestehendes und Vorgefundenes durch dieser Ordnung immanente Schlüsse zu untermauern, nicht jedoch Grenzen zu überschreiten oder gar eine von patriar-chalen Verhältnissen unabhängige Erklärungsmethode abzugeben.
Bereits die wenigen hier
Weitere Kostenlose Bücher