Über Alle Grenzen
um das große Siegesbanner herum entstehen. Das Kloster erhielt vor einigen Jahren die Erlaubnis, dieses wieder aufzubauen. Die Pillen werden für sehr heilig gehalten: Sie sind die verdichtete Liebesenergie erleuchteter Wesen. Vielleicht noch kostbarer waren die bis zu handtellergroßen Stücke gegossenen Kupfers, die ich seltener bekam. Sie stammen von der fast fünf Stockwerke hohen Karma Pakshi Statue. Ein winziges Stück davon in eine Statue gelegt genügt, um diese aufzuladen. Es ist ein gutes Gefühl, die Pillen und die Kupferstücke mit ihren dazugehörenden Kraftkreisen rund um die Welt zu verbreiten. Sie sind heute kaum noch zu bekommen.
Vom steilen Berg hinter dem Kloster sah man deutlich, wie gut die Leute gearbeitet hatten. Ein Drittel der Häuser war schon wieder überdacht. Vor allem freute sich eine alte Nonne, die - obwohl fast blind - am besten von allen die kleinen Perlen finden konnte. Sie hatte während der letzten Jahre in den Bergen gelebt und war so Zeugin der Ereignisse geworden. Hier ist in groben Zügen wiedergegeben, was sie erzählte:
“Anfang 1966 waren chinesische Beamte nach Tsurphu gekommen, um die Statuen zu zählen. Drei Wochen danach erschienen Lastwagen, die alle Gegenstände aus Edelmetall, die sie finden konnten, nach China brachten. Dann folgte die zweite Stufe: Achtzehn Monate lang wurde Lhasas Unterschicht jedes Wochenende hinausgefahren und mit den Gewehren der Chinesen im Rücken gezwungen, die Bauten abzureißen. Da wohl kein Volk mehr als einen gewissen Prozentsatz an Helden aufweisen kann, gehorchten sie. Den einheimischen Bauern und Nomaden war danach verboten worden, in diesem Teil des Tales zu wohnen.”
Die Zeugin
Die durchgreifende Zerstörung dieser Gebäude, die so weit abseits aller Behausungen lagen, hatte einen besonderen Grund: Die Chinesen waren besonders sauer auf Karmapa. Die meisten seiner Schüler waren Khampas, geborene Krieger, und geschützt durch seinen Kraftkreis hatten sie unter den chinesischen Soldaten gut aufgeräumt. Mit so unterlegenen Waffen wie Schwertern und Vorderladern hatten sie ihnen große Verluste zugefügt. Den Chinesen gefiel es auch nicht, dass Karmapa als einziger der wirklich großen Lehrer sein Gefolge und alle Reliquien mit sich genommen hatte. Würdevoll und wohl geplant verließ er Tibet inmitten der Angriffe. Seine genauen Voraussagen über die Zerstörung Tibets hatte er mehrere Jahre zuvor in ein Volkslied umgesetzt, in dem er auch den besten Fluchtweg südöstlich über Bhutan beschrieb. So hatte er rechtzeitig seinen Schülern die Flucht ermöglicht, während die meisten, die nach Süden und Westen flohen, getötet wurden oder in chinesischen Lagern landeten.
In Lhasa kauften wir den Freunden zu Hause ulkige Kleinigkeiten, wie sie der Sozialismus herstellt: Das Beste waren Holzkämme und Seidendrucke mit Wünschen für ein langes Leben. Sie sollen vom Panchen Lama selbst gesegnet worden sein. Es war jedes Mal ein Riesenspaß, mit den Chinesen in den Staatsläden zu handeln. Gewöhnlich läuft das immer nach demselben Muster ab: Wenn man sich ihrem Bereich nähert, halten sie erst die Nase hoch, um zu zeigen, dass man unerwünscht ist. Dann bewegen sie sich so weit wie möglich von der Ware weg, die man kaufen will. Wenn man sie eine gebührende Zeitlang durch ständige Aufmerksamkeit und viel Lächeln geehrt hat, versuchen sie, eines ihrer vielen beschädigten Stücke loszuwerden. Ist man endlich bei dem angekommen, was man will, wollen sie plötzlich kein Kleingeld herausrücken, und man muss zuerst auf die Straße gehen und wechseln.
Dieser Vorgang bringt eine wirksame Verbrauchsbegrenzung, fördert das Selbstbewusstsein der Verkäufer und lässt sich durchführen, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt. Da wir aber ständig so in Eile waren, musste ich den Vorgang abkürzen, was durchaus möglich war: Man springt einfach über die Schranke und nimmt sich, was man haben möchte. Dann erfolgt die Bedienung erstaunlich schnell und ganz von selbst. Ist man wenig erbaut über die Grimassen und Unmutsbezeugungen, die die Verkäufer machen, streckt man ihnen zuletzt die Hand hin. Die meisten Männer fallen darauf rein. Das große Endspiel ist, sie mit Verwunderung beim Auf- und Niederhüpfen anzuschauen, während man ihnen gerade die Hand zerquetscht. Dies ist auch die Stufe des Vorgangs, auf der sie für ihre freundliche Hilfe gelobt werden können. Die oft noch unzufriedeneren Damen erfreut zum Abschied am
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