Über Alle Grenzen
die Länder östlich von Polen, und wieder einmal war zu sehen, dass nichts Zufall ist: Die Buddhas können zählen! Wie zuvor bereits in Polen und in Südamerika reichten die Zufluchtskärtchen ganz genau. Den Rest der 1.200 Kärtchen, die wir in Kiew mitgenommen hatten, vergab ich am letzten Tag im Land.
Kharkov, die Hauptstadt, die die Russen den Ukrainern aufgezwungen hatten, um sie an kürzerer Leine halten zu können, summte vor geistiger Offenheit. Wieder nahmen über zweihundert Menschen Zuflucht, doch unser Mann vor Ort hatte Rubelzeichen in den Augen. Er dachte zu sehr daran, wie man durch die buddhistische Lehre Geld verdienen könnte. Heute gibt es deswegen eine neue gemeinnützige Gruppe in Kharkov.
Wolgograd, das frühere Stalingrad, war unser erster Aufenthalt in Russland selbst. Da wir Gäste einer kommunistischen Jugendgruppe waren, kamen wenige, und die Leute spähten sich eher gegenseitig aus, als dass sie zuhörten. Fachmännisch tüchtig trennten sie Tomek, Tatjana und mich vom Rest der Reisegruppe, um selbst mehr Zeit mit uns zu haben. Ihr Leben war leer, aber sehr begünstigt – sie hatten Autos und waren in den Westen gereist.
Sascha, heute - ohne Bart - mein erster Mann in Russland
Die Stadt stand noch immer unter Schock. Der Park um das Kriegsdenkmal war riesengroß, und der Hügel, der über die Wolga blickt, hat eine unbeschreibliche Schwingung. Dort fanden die entscheidenden Kämpfe des Zweiten Weltkriegs statt. Stalin hatte ständig neue Truppen über den Fluss geschickt und ließ jeden hinrichten, der flüchten wollte. Deshalb aßen die Deutschen zunächst ihre Pferde, dann ihre Stiefel und erlagen schließlich dem eisigkalten Winter.
Ein Teil unseres Gepäcks
Zu Gast in Russland
Die Stadt Wolgograd schenkte uns im Sommer 1993 einen Hektar Hinterland – ohne Kriegsgräber – wollte dann aber plötzlich eine Menge Geld. Inzwischen bauen wir ein nicht fertiggestelltes Schach-Gebäude in einem Park in der 70 Kilometer langen Stadt und ein Haus nahe einem Dorf am Fluss. Wir hoffen, bald das Geld zu haben, um ein 160 Quadratmeter großes Zentrum bauen zu können.
Samara, ebenfalls an der Wolga, war der nächste Halt. Die Stadt hatte gerade ihren vorkommunistischen Namen wiederbekommen. Die Schilder mit dem Namen eines früheren Oberfolterers, die den Ort zierten, wurden überall abgenommen. Wir bedauerten, dass sie auch hier Reihen schöner alter Blockhäuser abrissen. Die langweiligen Betonbauten, die sie statt ihrer aufstellten, mussten ausgebessert werden, bevor sie überhaupt fertig waren. Zugleich war es aber auch verständlich: Die alten, volkstümlich aussehenden Häuser waren ohne Dusche und hatten die Toilette draußen im Garten.
Wir genossen den begabten Freundeskreis einer Burjatenfamilie, und ich bat Hep Lama, der nicht nur seinem Namen nach Lehrer ist, die Gruppe zu leiten.
Hep Lama mit seinen Töchtern
Der ansässige KGB-Offizier für Religion, ermächtigt durch Gorbatschow, aber nach Jelzins Gesetzen gar nicht vorhanden, beeindruckte mich. Er erwähnte einerseits, wie viel Geld die hereinströmenden protestantischen Sekten in die Gegend brachten, war aber sehr von meinem Versprechen angetan, keine Religion über die Wahrheit und die geistige Freiheit der Menschen zu stellen. Nachdem ich ihm kurz erklärt hatte, inwieweit Buddhismus über Philosophie, Psychologie und Glaubensbekenntnisse hinausgeht, gewannen wir einen Freund. Er begleitete uns endlose Gänge und Treppen hinunter zum schwer bewachten Haupttor. Als wir in Wind und Sonnenschein an den Ufern der Wolga standen, tauchten Bilder zahlloser Polizeiwachen meiner Jugend auf. Wie viel angenehmer ist es doch, sie auf eigenen Wunsch zu besichtigen.
Wieder nahmen mehrere hundert Russen Zuflucht, und anschließend stiegen wir in ein Boot Richtung Lenins Geburtsort. Früher Simbirsk, heißt er jetzt zu Ehren seines Familiennamens Ulianowsk. Die Stadt bekam über diese Verwandtschaft mehr als ihren Teil von ihrem dünnen sozialistischen Kuchen ab. Das Boot hatte auf der Fahrt durch die zahlreichen Schleusen eine Panne nach der anderen. Daher erreichten wir die vielen Zuhörer, die in einem großen Saal auf uns warteten, erst mit zwei Stunden Verspätung. Zu meinem Erstaunen gefielen meine Ausführungen auch einigen ordensgepanzerten Offizieren, die sich unter die Zuhörerschaft gemischt hatten. Selbst ein Ausspruch, der mich während der Notstandsgesetze in Polen fast in Schwierigkeiten gebracht hatte,
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