Über Bord
sichtlich auf und wollte nun genau wissen, wie man anhand der Laboruntersuchung dem Geheimnis auf die Spur gekommen war. Matthias und Gerd erzählten von ihrer ersten Begegnung und spontanen Sympathie, vom gemeinsamen Besuch beim Laborarzt und dem erfreulichen Resultat. Ellen sprach von ihrem anfänglichen Misstrauen und musste nun selbst lachen, dass ihre Tochter Gerd für einen Staubsaugervertreter gehalten hatte. Hildegard war auffallend still und blickte angespannt von einem ihrer Kinder zum anderen.
Da trompetete auch schon Lydia: »Aber wie sicher ist dieses Ergebnis überhaupt? Wie war das noch gleich mit Ellens Tochter? Matthias, du bist doch unser Schlaumeier. Hattest du nicht gesagt, bei Amalia hätte der Test versagt?«
»Stimmt, da ist irgendetwas nicht ganz plausibel«, sagte Matthias und ließ ganz arglos eine Bombe hochgehen. »Amalia müsste ja wenigstens ein bisschen mit Gerd verwandt sein, aber so ist es seltsamerweise nicht. Deswegen haben wir Ellens Speichelprobe zur Absicherung noch hinterhergeschoben. Doch es kam wieder kein brauchbares Ergebnis heraus. Genau wie bei Amalia besteht auch bei Ellen angeblich keine genetische Übereinstimmung.«
Plötzlich herrschte Schweigen, und man schaute staunend, nachdenklich oder betreten auf die abgegrasten Kuchenteller. Ellen wurde blass, während sie leise sagte: »Ich hab’s schon immer geahnt, ich bin ein Findelkind, ich wurde als Baby adoptiert.«
»Das kann gar nicht sein«, protestierte Christa. »Gerade du bist doch Mamas Ebenbild! Und ich weiß noch genau, wie sie mit dir schwanger war.«
Alle Blicke richteten sich jetzt auf Hildegard, die kreidebleich war. Lydia war die Erste, die es aussprach: »Ist Ellen etwa ein Kuckuckskind?«
»Es muss ein Fehler des Labors sein«, wiegelte Matthias ab.
»Nein«, sagte Hildegard, völlig in sich zusammengesunken. »Es stimmt! Ich hab gewusst, dass es irgendwann rauskommt! Ellen hat einen anderen Vater.« Sie ließ ihre Serviette zu Boden fallen, sprang auf und lief erstaunlich flink ins Haus. Ein paar Sekunden lang verharrten alle wie gelähmt, dann stürzte Christa hinter ihrer Mutter her. Einzig Ortrud brach in schallendes Gelächter aus: »Es ist doch immer das Gleiche! Eine richtig feine Familie, die sich mein cleverer Göttergatte da ausgeguckt hat!«
Gerd warf ihr einen bitterbösen Blick zu und nahm ihr das Glas aus der Hand.
»Matthias, wie konntest du Mama so bloßstellen!«, sagte Holger. »Hättest du nur dein Maul gehalten, jetzt sieh mal zu, wie du das wieder geradebiegst!«
»Und ich?«, rief jetzt Ellen und heulte los. »Wer tröstet mich? Plötzlich gehöre ich nicht mehr dazu und bin bloß eure Halbschwester! Und wer soll denn nun mein Vater sein, wenn nicht Papa?«
Gerd stand auf, näherte sich Ellens Stuhllehne und legte zaghaft die Hand auf ihre Schulter.
»Das konnte ich nicht ahnen, das habe ich auf keinen Fall gewollt«, beteuerte er. »Ich weiß gar nicht, wie ich das wiedergutmachen kann.« Die völlig aufgelöste Ellen wusste es auch nicht. Hätte sie sich doch bei Gerds erstem Besuch nur nicht dem Gentest verweigert. Wenn man nur sie und nicht Matthias getestet hätte, wäre die Situation jetzt eine andere – Gerd wäre dann überzeugt, dass keine Verwandtschaft mit der Familie Tunkel bestünde, und ihre arme Mutter wäre nicht so aus dem Häuschen. Die anderen führten heftige Debatten und stellten waghalsige Vermutungen an, bis Christa wieder zurückkam.
»Mama dreht durch«, sagte sie. »Vielleicht sollte man einen Arzt rufen.«
Ellen wischte sich die Tränen ab. »Auf keinen Fall«, entschied sie. »Man muss sie einfach nur ein Weilchen in Ruhe lassen; Mama macht sich bestimmt bald einen Beruhigungstee und legt sich ein bisschen hin. Ich kenne sie schließlich am besten, in einer Stunde kommt sie wieder zu uns und tut so, als sei nichts gewesen.«
Holger war vor Schreck wieder stocknüchtern geworden. »Ich verstehe gar nichts mehr«, klagte er. »Erst müssen wir erfahren, dass unser Vater einen weiteren Sohn zeugte, nun hat auch unsere heilige Mama offenbar einen Lover gehabt – es ist einfach nicht zu fassen! Sie war doch immer nur zu Hause, ist kein einziges Mal ohne die Familie in Kur oder auf Reisen gegangen, und es gab nie einen Hausfreund, der uns besucht hätte! Oder seid ihr besser informiert?«
Christa und Matthias verneinten. Ellen stand auf und begann, den Tisch abzudecken, ihre Schwägerin Brigitte half und fragte in der Küche mitfühlend:
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