Über Bord
weinende Tochter.
»Uwe ist völlig ausgeflippt, er hat sogar Clärchens Lieblingseierbecher an die Wand geknallt«, schluchzte Amalia. »Mit dem Hochzeitsbild von Lady Di! Den hatte sie vor vielen Jahren auf dem Londoner Flohmarkt gekauft!«
Sanft streichelte Ellen über das Haar ihrer Tochter. Sie ist noch ein Kind, fand sie, ich muss sie beschützen; so hat es auch meine Mutter immer gehalten.
»Hast du Hunger, Schätzchen?«, fragte sie. »Es ist noch viel Kuchen von gestern übrig.«
»Mit Streusel? Dann schon. Wie war es überhaupt hier bei euch?«, fragte Amalia und wischte sich die Tränen ab.
Ellen zuckte mit den Schultern. »Das erzähle ich dir ein andermal«, sagte sie. »Ich bin froh, dass sie alle wieder fort sind, es war ziemlich strapaziös.«
»Klar«, sagte Amalia. »Familie ist immer anstrengend! Ich lege mich jetzt in die Badewanne, und danach muss ich unbedingt Clärchen anrufen.«
Ellen häufte ein paar Kuchenstücke auf eine Platte und ging damit hoch zu ihrer Mutter. War jetzt eigentlich alles gesagt, oder gab es noch weitere Überraschungen? Als Erstes fragte sie: »Wusste Papa, dass ich nicht sein Kind war?«
»Ich denke schon, wenn auch nie darüber gesprochen wurde. Rudolf wagte kaum, meine zunehmende Rundlichkeit anzusprechen. Er hat dich aber ohne mit der Wimper zu zucken als sein Kind akzeptiert und sicherlich auch geliebt. Übrigens kam die ganze Wahrheit sowieso nicht sofort ans Licht.«
»Um Gottes willen, Mama! Was willst du damit andeuten?«
»Kurz vor deiner Geburt lagen wir uns wieder einmal in den Haaren. Es ging darum, dass Rudolf Geld an einen Unbekannten überwiesen hatte. Heimlich hatte ich seine Kontoauszüge und Banktransaktionen kontrolliert, um die Höhe der Alimente festzustellen, die er zahlen musste. Dabei stolperte ich über eine einmalige Riesensumme und forderte Auskunft. Mein Mann war zwar wütend über meine Schnüffelei, gestand jedoch, dass es sich um einen ehemaligen Schulkameraden handelte. Dieser Mensch war für eine saftige Zahlung dazu bereit, Rudolfs Geliebte zu heiraten und den kleinen Gerd als seinen Sohn anzuerkennen. Über dieses Arrangement unter feinen Herren war ich geradezu entsetzt und habe harte Worte gefunden. Im Laufe unserer Auseinandersetzungen kam aber noch viel Schlimmeres zu Tage…«
Hildegard stockte und griff vorbeugend zum Taschentuch; Ellen wollte gar nichts mehr von weiteren Skandalen hören, blieb aber trotzdem wie versteinert sitzen.
»Ich kann es dir nicht ersparen«, fuhr ihre Mutter fort, »aber als ich Rudolf vorwarf, dass man nicht alles auf der Welt mit Geld regeln könnte, lachte er nur. Das sei doch die einzig vernünftige Art, Probleme aus der Welt zu schaffen, höhnte er. Auch der Schauspieler, mit dem ich ja offensichtlich ins Bett gegangen sei, habe für diesen Dienst ein hübsches Sümmchen kassiert. Ich erfuhr, dass Rudolf mit dem Journalisten gewettet hatte, dass ich unter gewissen Umständen den Verführungskünsten eines Casanovas erliegen würde. Der Schauspieler, der gerade Spielschulden hatte, willigte in die Intrige ein. Die Rolle des Faust sei ihm bisher versagt gewesen, sagte er, umso mehr freue er sich auf eine lebensechte Inszenierung als Mephisto.
Übrigens muss ich zur Ehrenrettung deines Vaters sagen, dass er nach vollbrachter Tat auf das Geld verzichtet hat. Als Rudolf mir das erzählte und ich merkte, wie sehr mich mein eigener Mann gedemütigt hatte, hätte ich dich fast verloren und kam ins Krankenhaus. Zum Glück kam es aber nicht zu einer Frühgeburt, ein paar Wochen später wurdest du geboren, gesund und munter. Seitdem hatte ich immer das Gefühl, dass ich ganz allein für dich verantwortlich bin. Du warst und bleibst mein liebstes Kind, obwohl das eine Mutter niemals offen zugeben sollte.«
Hildegard weinte und war völlig erschöpft, Ellen ebenfalls.
11
Am späten Sonntagabend hatte Ellen endlich Zeit, um den Namen Carl Siegfried Andersen in die Suchmaschine einzugeben. Bei Wikipedia gab es nur wenige Zeilen zu lesen: Ihr zweimal geschiedener Vater wurde in München als Sohn eines Taxifahrers geboren, verließ das Gymnasium ohne Abschluss, bestand aber die Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule. In jungen Jahren spielte er Liebhaberrollen an unbedeutenden Theatern, später waren es leider nur noch Nebenrollen, im höheren Alter trat er gelegentlich im Fernsehen auf. Jedenfalls entwickelte sich seine Karriere wohl nicht so wie anfangs zu erwarten war. Vor etwa elf Jahren
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