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Über Bord

Titel: Über Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ich gehe jetzt zum Hafen, suche die anderen Jungs und frage, wie es weitergeht. Schließlich hatten die Herren ein festes Engagement und durften nicht vertragsbrüchig werden.
    Der Regen hatte sich zum Glück gelegt, die feuchten Sänger saßen in einem Bistro, tranken Café au Lait und wirkten wie ausgespuckt. Der Bodyguard des Yachtbesitzers hatte ihnen mitgeteilt, dass sie sich nicht vor zwölf melden sollten, früher gebe er niemals Audienzen.
    Amalia setzte sich zu ihnen, der Tenor machte sich auf den Weg, um den Bariton aus den Federn zu scheuchen. High noon, brummte der Bass, als die kleine Gruppe vor der Yacht stand und tatsächlich vom Zaren persönlich empfangen wurde. Er erfüllte lustvoll alle Klischees, trug einen goldenen Bademantel und einen riesigen Diamanten am kleinen Finger, sprach ein drolliges Englisch, lachte über die Probleme der Deutschen und bot ihnen Champagner an. Bevor sie ihre Ansprüche geltend machten, sollten sie bitte schön das Wiegenlied Bajuschki baju für ihn singen, was auch mehr schlecht als recht gelang. Dann griff er zum Handy und organisierte ein Schnellboot, zückte auch die Brieftasche, schrieb einen Scheck aus und entließ die Helden in Gnaden. Bereits eine Stunde später konnten sie die Fahrt nach Monte Carlo antreten.
    »Das ist ja noch mal gutgegangen«, sagte Amalia und hoffte, dass die Nacht sonst keine schlimmeren Folgen haben würde. Als sie und ihre Begleiter ihren Luxusliner im Hafen von Monte Carlo liegen sahen, waren alle froh.
    Das Telefon weckte Ellen auf, leicht verwirrt griff sie zum Hörer. Es war Gerd.
    »Du lebst also noch!«, flüsterte sie unendlich erleichtert.
    »Wieso denn nicht? Ach so, du hast wohl gehört, dass ich beim Onkel Doktor gelandet bin. Weißt du, wo Ortrud steckt?«, fragte er.
    »Keine Ahnung«, sagte Ellen. »Vielleicht ist sie irgendwo rauchen oder sie liegt auf einem Deckchair und schnappt nach frischer Luft. Ich selbst war heute Nacht seekrank, vielleicht ging es ihr auch nicht gut.«
    »Anscheinend hat sie sich gründlich übergeben, hier sieht es aus wie Sau und stinkt auch so. Ich muss mich schon wieder schrecklich aufregen. Entweder hat sie zum zweiten Mal einen ekelhaften Auftritt inszeniert und sich irgendwo versteckt oder…«
    »Was oder?«, fragte Ellen.
    »Kein oder. Mit Sicherheit möchte sie mich nur quälen und hofft, dass ich das Schlimmste befürchte. Könnte sie bemerkt haben, dass wir beide gestern…?«
    »Aber nein! Woher denn? Sie war doch mit Ansgar und Valerie unterwegs!«
    »Man hat mich vorhin aus der Krankenstation entlassen, auch die Kontrolle beim zweiten EKG war okay«, sagte Gerd. »Doch kaum kam ich zurück in unsere Kabine, traf mich beinahe der Schlag!«
    »Und – was nun?«
    »Beim Frühstück oder auf einem der Decks ist sie nicht. Nun muss ich wohl wieder die große Suchaktion anleiern, man wird mich nicht mehr ernst nehmen. Bevor ich mich unsterblich blamiere, schaue ich mich selbst noch einmal überall um, als Erstes im Kinderzimmer. Vielleicht willst du mir helfen und auch auf die Suche gehen?«
    Ellen hatte absolut keine Lust dazu, versprach aber, in fünf Minuten in der Halle zu sein. Das Schiff näherte sich bereits dem Hafen von Monte Carlo, der Sturm hatte aufgehört, ihre Übelkeit nachgelassen. Aus dem Entspannungsbad wurde leider nichts, aber ohne zu duschen wollte sich Ellen nicht unter Menschen begeben. Als sie kurz darauf Gerd traf, schüttelte er nur den Kopf.
    »Beim großen Teddybären ist sie diesmal nicht gestrandet. Was für einen Eindruck machte sie beim Abendessen?«
    »Sie ist gar nicht erschienen, aber ich habe sie angerufen. Ich wollte wissen, was mit euch los ist und warum ich ganz allein am Tisch sitzen musste. Natürlich machte sie sich Sorgen um dich, aber außerdem wirkte sie ehrlich gesagt etwas angetrunken.«
    »So wie es in der Kabine aussah, muss es mehr als nur ein bisschen gewesen sein. Ich habe sofort dem Zimmermädchen einen Schein gegeben und darum gebeten, gründlich zu putzen.«
    Das hörte Ellen gern. Im Nachhinein war ihr nämlich eingefallen, dass es außer Fingerabdrücken auch Fußspuren geben könnte.
    Es half leider nichts, Gerd musste in den sauren Apfel beißen und seine Frau zum zweiten Mal als unauffindbar melden. Da die Kabine inzwischen aufgeräumt und sauber war – denn die 50 Euro hatten Wunder gewirkt –, erhielt er auch noch eine Rüge vom Sicherheitsoffizier.
    »Sie hätten mir das Zimmer vorher zeigen sollen, man hätte zumindest die

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