Über Boxen
«Pit Bull» Bramble, Hector «Macho» Camacho. 33 «Marvelous» Marvin Hagler nahm ganz offiziell den Namen Marvelous Marvin Hagler an, bevor er durch seinen Kampf gegen Thomas Hearns damit zu Ruhm gelangte.
José Torres sagte einmal, dass der Machismo des Boxens durch die Armut bedingt sei. Aber ist er wirklich nur eine Folge der Armut? Oder der Adoleszenz? Ich sehe ihn als den Gegenpol des Weiblichen, als die Verneinung des Weiblichen im Mann, und er übt auf alle Männer, mögen sie noch so «zivilisiert» sein, eine ambivalente Anziehungskraft aus. Er ist ein Relikt aus einer anderen, früheren Zeit, in der das Körperliche an erster Stelle stand und seinen höchsten Ausdruck in der Männlichkeit des Kriegers fand.
Boxer verstehen etwas von der Täuschung.
Was ist eine Finte? Was ist ein linker Haken nach einem Jab?
Was ist eine Eröffnung? Was heißt es, an das eine zu
denken und das andere zu tun?
José Torres, ehemaliger Weltmeister im Leichtschwergewicht
Boxen hat sehr viel mit Täuschung zu tun: Vielleicht ist es das wichtigste Element dieses Sports. Man kultiviert beim Boxen systematisch eine doppelte Persönlichkeit: eine gesellschaftlich akzeptable und die andere, die sich im Ring zeigt. Wie der Großmeister beim Schach seine außerordentlich starken aggressiven Impulse auf das Schachbrett richtet, das eine Welt im Kleinen ist, so konzentriert der «geborene» Boxer seine Stärke auf den Ring, richtet sie auf den Gegner. Und innerhalb des Rings wird er sich, wenn er ein guter und kein zweitklassiger Boxer ist, in zwei weitere Persönlichkeiten aufspalten und so die Pläne seines Gegners zunichtemachen. Boxer wie Schachspieler müssen flexibel sein – sie müssen improvisieren können, und das mitten im Kampf.
(Und zweifellos ist professionelles Schachspielen und nicht Boxen unser gefährlichster Sport – jedenfalls was das psychische Risiko anbelangt. Kann ein Großmeister im Schach seine außerordentlichen mentalen Kräfte nicht mehr auf das Schachbrett konzentrieren, ist er häufig in Gefahr, in eine Psychose zu verfallen oder größenwahnsinnig zu werden.)
Nach seinem beunruhigenden Sieg gegen das WBC -Junior-Weltergewicht Billy Costello im August 1985 äußerte der praktisch unbekannte «Lightning» Lonnie Smith einem Reporter des «Ring» gegenüber, dass sein Vorbild beim Boxen Schach sei: Boxen sei ein Sport, «in dem Kontrolle alles ist, und wie beim Schach kann diese Kontrolle in Kreisen vom Zentrum her ausstrahlen oder sich in Kreisen auf das Zentrum hinbewegen … Alles, was sich in einem Kampf abspielt, geschieht in Kreisen; es können kleine Kreise inmitten des Rings sein oder große Kreise entlang der Seile, aber es sind immer Kreise. Wer beherrscht, was in einem solchen Kreis vor sich geht, gewinnt.» Smiths Kampfstil, den er gegen Costello einsetzte, war von einer so unverschämten Idiosynkrasie – erinnerte zeitweise an Muhammad Ali und Jersey Joe Walcott –, dass der bis dahin unbesiegte Costello, der als harter Schläger bekannt war, völlig demoralisiert, deklassiert, in Grund und Boden geboxt wurde. (Einige Monate später wurde Costello von dem furiosen Alexis Arguello geschlagen und nie mehr im Ring gesehen.)
Cassius Clay alias Muhammad Ali, der widersprüchlichste aller Champions, war vor allem ein brillanter Ringstratege, ein Wunderkind, das seiner Schnelligkeit wegen kaum zu treffen war. Der junge Ali strahlte eine immense Freude aus: allein schon durch die unnachahmliche Arroganz des Schwergewichtlers, der seine verwirrten Gegner umtänzelt, Fäuste in Taillenhöhe, und sie auffordert, ihn zu schlagen – es doch zu versuchen. (Diese Freude spricht auch noch aus den Filmen und Videos, selbst wenn sie daneben den übergewichtigen, sogar aufgeschwemmten Ali von heute zeigen, dessen Reaktionen und Sprechweise durch die parkinsonsche Krankheit verlangsamt sind.) Es war der Stil des noch jungen Ali, dass er den als «tödlichen» Schläger bekannten Sonny Liston einfach mental ausmanövrierte. Nie zuvor und seither nie mehr besaß ein Schwergewichtler im Ring so viel Stil – eine unnachahmliche Kombination von Intelligenz, Witz, Grazie, Respektlosigkeit und Schlauheit. Der junge Ali war so überragend begabt, dass es nicht klar war, ob er überhaupt das besaß, was man in Boxerkreisen «Herz» nennt – die Fähigkeit, nach einer Verletzung weiterzukämpfen. In seinen späteren Jahren, als seine Schnelligkeit nachließ, kam ein neuer, vielschichtigerer,
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