Über Boxen
bin nicht dein Freund!» Wenn man Freundschaft zulässt, ganz zu schweigen von Brüderlichkeit, wird es schwer, den anderen zu töten – oder den Zuschauern jene merkwürdige Illusion des Tötens zu liefern, die zum Boxen, wie es Mike Tyson betreibt, dazugehört. Das Leben ist wirklich und schmerzhaft und durchtränkt mit Zwiespältigkeit; im Boxring hingegen gibt es nur ein Entweder-oder. Entweder man gewinnt, oder man verliert.
Der brillante Boxer ist ein Künstler, wenngleich in einer Kunst, die den meisten Zuschauern nicht leicht verständlich oder schmackhaft zu machen ist. Seine Instrumente sind der eigene Körper und der des Gegners. In gewisser Hinsicht ist es eine kontemplative Kunst, in die man sich Wochen, Monate, sogar Jahre, bevor sie ausgeübt wird, denkend und träumend versenkt. Dies muss man verstehen, wenn man den Boxer verstehen will. «Es ist ein einsamer Sport», sagt Mike Tyson, der von Menschen umgeben ist, die ihn lieben. Besessenheit bedeutet noch keine Größe, aber Größe bedeutet immer Besessenheit, deshalb ist es kein Zufall, dass sich Tyson in seinem Ehrgeiz, nicht nur der jüngste Schwergewichtschampion der Geschichte zu sein, sondern (so vermute ich) der größte Champion aller Zeiten zu werden, im übertragenen Sinn immer im Training befindet. Seine Bewunderung für Boxer der Vergangenheit – Stanley Ketchel, Jack Dempsey, Henry Armstrong, Kid Chocolate und nicht zuletzt Roberto Durán, von dem er regelrecht ehrfürchtig spricht – ist die Bewunderung des geschickten Lehrlings für die Älteren seines Gewerbes, die nicht notwendig die Besseren sind. Als ich Tyson bitte, seine Zeitgenossen in der eigenen Gewichtsklasse zu beurteilen, Männer, denen er in den nächsten Jahren im Ring gegenübertreten wird, antwortet er wieder absichtlich vage: Er denke nicht viel über sie nach. «Das macht mich nur verrückt.» Pinklon Thomas, Gerry Cooney, Carl Williams, Tyrell Biggs, Bert Cooper – da wechselt er lieber das Thema. Und auch dieser Instinkt ist richtig. Der Boxer darf sich nur auf seinen jeweiligen Gegner konzentrieren, auf einen nach dem anderen, der Reihe nach. Als Gruppe haben sie keine Daseinsberechtigung. Ich muss an einen Tagebucheintrag von Virginia Woolf denken, dem zufolge sie ihre wirklich ernst zu nehmenden Rivalen nicht zu lesen wagt. «Hindere ich instinktiv meinen Geist am Analysieren, weil das seine Kreativität beeinträchtigen würde? … Kein Schriftsteller kann das Werk eines lebenden Autors verdauen. Zeitgenössisches in sich aufzunehmen, hat etwas Anstößiges; man ist voreingenommen, wenn man dasselbe macht» (20. April 1935).
Ebenso wenig will Tyson über mögliche tödliche Unfälle im Ring nachdenken. Er sieht es als selbstverständlich an, dass er nicht verletzt wird, ja nicht einmal verletzt werden kann . «Dafür bin ich zu gut.» Das Schicksal des Gegners, das diesem von seinen Händen droht, kommentiert er nüchtern und pragmatisch. Er ist Boxer, er macht seine Arbeit, er schlägt zu, bis der Gegner besiegt ist. Wenn es zum Tod kommt, wie in dem berüchtigten Kampf Griffith gegen Paret1962 , bei dem Paret hilflos in den Seilen hing und ohne Reaktion achtzehn Schläge von Griffith einstecken musste, so ist das niemandes Schuld. Das könne man nur einen Unfall nennen. «Jeder hat die gleiche Chance, wenn er in den Ring steigt», sagt Tyson mit seiner leisen, nachdenklichen, abwechselnd langsamen und hastigen Stimme – vielleicht einer der Stimmen von Cus D’Amato. «Man könnte sterben. Es könnte passieren.»
Ich frage Tyson, was er gedacht hat, als der angeschlagene Berbick versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, und er sagt schnell: «Ich habe gehofft, dass er nicht verletzt war», und fügt gleich darauf hinzu: «Es war ein vorsätzlicher Schlag an den Kopf, gezielt auf einen lebenswichtigen Punkt.» Tyson hat gelernt, mit seinen Hammerschlägen auf bestimmte Körperbereiche zu zielen, darunter die Leber, die Nieren, das Herz und, wie in Berbicks Fall, einen bestimmten Punkt an der Schläfe, der einen Mann sofort zu Fall bringt, wenn der Schlag hart genug ist. Dann ist er wie Berbick bei vollem Bewusstsein, aber gelähmt. Hilflos. Am Boden.
Und Tyson ist überzeugt, dass er selbst nicht verletzt werden kann? Nicht ernstlich, dauerhaft?
«Genau. Das wird nicht passieren. Ich bin zu gut.»
Nach dem tödlichen Unfall eines Mitglieds der Flying Wallendas vor einigen Jahren erklärte einer der Artisten aus der berühmten
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