Über das Sterben
wertvolle Unterstützung leisten. Immer jedoch sind sie auf die aktive Mithilfe der Betreuten angewiesen. Mit viel Einfühlungsvermögen müssen Sozialarbeiter dabei einer «Ich-muss-damit-allein-zurechtkommen»-Mentalität begegnen, die leider in Deutschland weit verbreitetist – bei Angehörigen wie bei Patienten. Es kann sich sehr lohnen, gerade in einer schwierigen Situation über den eigenen Schatten zu springen, wie die Fortsetzung unseres Fallbeispiels zeigt.
Fortsetzung
Die Einschaltung einer erfahrenen Palliativsozialarbeiterin durch den örtlichen Hospizverein bringt den Durchbruch. Die Sozialarbeiterin bindet die Eltern der Patientin in die Versorgung der Tochter ein, da der Lebensgefährte damit überfordert ist. Nach langem Zögern erklärt sich die Patientin zu einem Gespräch mit dem leiblichen Vater bereit. Dieses verläuft unerwartet positiv: Der Vater, der inzwischen mit einer anderen Frau verheiratet ist und mit ihr zwei Kinder hat, erklärt sich bereit, keinen Anspruch auf das Sorgerecht geltend zu machen und für den Unterhalt der Tochter zu sorgen. Er ist damit einverstanden, dass die Tochter zu den Großeltern zieht und er ein regelmäßiges Besuchsrecht bekommt. Auch der derzeitige Lebensgefährte, der ein gutes Verhältnis zum Kind hat, aber sich außerstande sieht, es allein großzuziehen, ist mit der Lösung einverstanden. Diese wird mit dem Jugendamt abgesprochen. Die Tochter, die erste Verhaltensauffälligkeiten zeigt, bekommt Unterstützung durch einen Kinderpsychologen. Die Patientin ist durch diese Entwicklung sehr beruhigt. Die Schmerzen lassen nach, aber die Krankheit schreitet fort, und die Patientin stirbt wenige Wochen später im Kreise ihrer Familie. Die kinderpsychologische Unterstützung wird auch nach dem Tod der Mutter fortgesetzt und bezieht die Großeltern mit ein. Nach einer anfänglichen Phase des Rückzugs erholt sich die Tochter zusehends, kann mit einem Jahr Verzögerung eingeschult werden und entwickelt sich danach völlig normal. [zurück zum Text]
Trauerbegleitung
Palliativbetreuung endet nicht mit dem Tod des Patienten. Die Begleitung der Angehörigen in der Trauerphase ist eine der wichtigsten Säulen der Palliativmedizin und Hospizarbeit. Da die meisten Menschen heutzutage nicht eines plötzlichen und unerwarteten Todes sterben, sondern an chronischen Erkrankungen, die oft viele Jahre dauern, findet ein großer Teil der Trauerarbeit – bei der Familie wie beim Patienten selbst – schon vor dem Tod statt (sogenannte «antizipierte Trauer»). Daher beginnt auch die Trauerbegleitung, wie die gesamte Palliativbetreuung, im Grunde bei der Mitteilung der Diagnose einer zum Tode führenden Erkrankung. Die Trauer des Kranken erstreckt sich durch eine Serie von Verlusten, die je nach Krankheit seine physischen oder geistigen Leistungen betreffen. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf ist der Verlust der Unabhängigkeit für viele Menschen sehr schwer zu verkraften und löst manchmal Wünsche nach Lebensverkürzung aus.
Nach dem Tod sind die Hinterbliebenen erst einmal mit vielen bürokratischen und praktischen Aufgaben beschäftigt, aber wenn diese erledigt sind, kommt oft ein tiefes Loch. Hier ist die stetige Unterstützung durch andere Verwandte oder gute Freunde, die sich durch die manchmal abweisend wirkende Haltung der Trauernden nicht abschrecken lassen, extrem wichtig. Trauernde brauchen Struktur und können sie sich oft selbst nicht geben. Eine Frau, die ihren Mann verloren hatte, sagte dazu: «Diejenigen, die mir am meisten geholfen haben, waren die, die immer wieder kamen, ohne viel Aufhebens zu machen, egal, ob ich gut oder schlecht drauf war – sie waren einfach da.» Sehr hilfreich können auchTrauerbegleitungen sein, wie sie zum Beispiel von Kirchengemeinden oder Hospizvereinen angeboten werden.
Es gibt viele Phasenmodelle der Trauer, aber die vielleicht wichtigste Erkenntnis der Trauerforschung in den letzten Jahren ist, dass Trauer kein linearer Prozess ist, der irgendwann «vorbei» ist, sondern
ein lebenslanger Spiralprozess auf körperlicher, psychischer, sozialer und spiritueller Ebene
. Das bedeutet, dass Phasen intensiver Trauer mit Phasen relativer «Ruhe» abwechseln, ohne dass man voraussagen kann, wann die eine beginnt und die andere aufhört. Menschen in akuten Trauerphasen können schwer belastet und zum Teil arbeitsunfähig sein – das ist ganz normal und für sich genommen kein Hinweis auf einen krankhaften Trauerprozess. Erst wenn
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