Über das Sterben
notwendig, und die Sedierung wird nur so weit durchgeführt, wie es für die Leidenslinderung notwendig ist. Wichtig ist dabei die Information, dass Sedierungen am Lebensende die Sterbephase nicht verkürzen, sondern, wenn überhaupt, etwas verlängern. Damit stellt die palliative Sedierung
keine
Form der indirekten oder gar aktiven Sterbehilfe dar (siehe Kapitel 9). Sie ist vielmehr als
ultima ratio
der Symptomlinderung eine wirksame Möglichkeit für die Palliativmedizin, auch schwersten Leidenszuständen therapeutisch zu begegnen.
c. Psychosoziale Betreuung
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.[ 8 ]
Masha Kaléko (deutsch-jüdische Lyrikerin, 1907–1975)
Keiner stirbt für sich allein
– dieser Titel eines exzellenten Buches zum Thema Sterben von Oliver Tolmein[ 9 ] deutet schon an, worum es in diesem Kapitel gehen wird: um die Betreuung Sterbender innerhalb ihres sozialen Umfelds (Familie, Freunde, Arbeitswelt etc.) und um die Mitbetreuung ebendieses sozialen Umfelds, die oft noch mehr Arbeit und Zeiteinsatz erfordert als die Begleitung des Patienten, wie das folgende Fallbeispiel verdeutlicht.
Eine 29-jährige Patientin mit fortgeschrittenem metastasiertem Darmkrebs kommt zum Arzt und klagt über starke Schmerzen im Unterbauch. Der Arzt verschreibt ihr Schmerzmittel nach dem WHO-Schema (siehe Kapitel 4b) in ausreichender Dosierung – trotzdem bleiben die Schmerzen die nächsten Tage bestehen, eine Dosiserhöhung bringt keine Besserung, ebenso wenig ein Wechsel des Medikamentes. Der Arzt ist etwas ratlos. Erst ein Gespräch mit seiner langjährigen Sprechstundenhilfe, die sich mit der Patientin während der Wartezeit unterhalten hatte, klärt die Situation auf: Sie erinnert den Arzt daran, dass die junge Frau eine fünfjährige Tochter hat und ihr Lebensgefährte, der nicht der leibliche Vater des Kindes ist, arbeitslos ist. Die Familie ist komplett von ihrem Einkommen abhängig. Sie ist derzeit krankgeschrieben, und ihr wurde schon eine krankheitsbedingte Kündigung angedroht. Sie macht sich extreme Sorgen darüber, was mit ihrer Tochter und mit ihrem Lebensgefährten geschehenwird, wenn sie stirbt. Sie hat Angst, dass der leibliche Vater des Kindes, mit dem sie im Streit auseinandergegangen ist, versuchen könnte, nach ihrem Tod das Sorgerecht für das Kind gerichtlich zu erstreiten. Diese Ängste lösen Schlafstörungen und Albträume aus, welche die Schmerzen erst recht unerträglich machen.
(Fortsetzung folgt)
Psychologische Begleitung
Schwere Erkrankungen belasten nicht nur den Körper, sondern auch die Seele. Für den Prozess der Krankheitsbewältigung können geschulte Psychologen oder Psychotherapeuten eine unschätzbare Hilfe sein. Sie können auch helfen, wenn das Familiensystem unter der Belastung zusammenzubrechen droht. Aber man muss an diese Hilfsmöglichkeit denken und sie auch zulassen, was vielen Menschen schwerfällt. Die Inanspruchnahme psychologischer Hilfe bedeutet keineswegs das Eingeständnis einer psychischen Krankheit: Eine gedrückte Stimmung und Anpassungsschwierigkeiten sind angesichts einer schweren körperlichen Erkrankung völlig normal. Dennoch haben viele Menschen die Tendenz, sich für die damit einhergehende seelische Belastung keine Unterstützung zu holen. Zum Vergleich: Wenn man sich beim Skifahren ein Bein bricht, weil beim Sturz die Belastung für den Knochen zu groß war, geht man selbstverständlich zum Orthopäden, um dem lädierten Knochen Hilfe bei seinem Selbstheilungsprozess zu geben. Mit unserer Seele sollten wir aber mindestens genauso sorgsam umgehen wie mit unseren Knochen und ihr die nötige Hilfe zukommen lassen, wenn die Belastung zu groß ist.
Wie in der gesamten Sterbebegleitung sind auch im Hinblickauf die psychologische Betreuung die Angebote am besten entwickelt, wenn es um Krebskranke geht. Eine ganze Branche der Psychologie, die sogenannte Psycho-Onkologie, widmet sich ausschließlich der Betreuung von Krebspatienten und ihren Angehörigen. Hier gibt es eine Vielfalt von exzellenten Angeboten, koordiniert zum Beispiel durch die psychosozialen
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