Über das Sterben
mit mir?» Wenn wir aber als Ärzte den Patienten fragen: «Würden Sie sich im weitesten Sinne des Wortes als gläubigen Menschen bezeichnen?», so ist die Antwort in 87 Prozent der Fälle «Ja». 87 Prozent, das heißt fast neun von zehn Patienten, und das in unserer angeblich weitgehend säkularisierten Gesellschaft. Diese Frage hat sich als sehr gute Einstiegsfrage für ein Gespräch über Spiritualität am Lebensende erwiesen. Ein solches Gespräch wird von der großen Mehrheit der befragten Palliativpatienten als hilfreich und wenig belastend eingestuft. Wenn man die Patienten fragt, mit wem sie ein solches Gespräch am liebsten weiterführen möchten, dann schneiden die Ärzte sogar noch etwas besser ab als die Seelsorger. Ein Patient brachte es auf den Punkt: «Ich ziehe es vor, mit Ihnen [dem Arzt] über dieses Thema zu reden, denn Sie sind objektiver.»
Tatsächlich scheint es für Menschen im Angesicht des Todes von großer Bedeutung zu sein, von ihren Ärzten als ganze Menschen gesehen zu werden, wozu der spirituelle Bereich unmittelbar gehört. In gewissem Sinne ist dies auch eine Rückkehr zu den Wurzeln der Medizin, in denen der spirituelle und der heilende Aspekt untrennbar miteinander verbunden waren –man denke wieder an die Schamanen oder die Medizinmänner. Vor diesem Hintergrund ist sicher auch das große Interesse zu sehen, das dem neuen akademischen Fach «Spiritual Care» entgegengebracht wird. Spiritual Care ist weit mehr als konfessionell geprägte (christliche) Seelsorge. Sie stellt die umfassende Sorge um den kranken Menschen dar, die den Berufen des Seelsorgers und des Arztes und im Grunde allen Berufsgruppen im Gesundheitswesen gemeinsam ist.[ 14 ]
Im Jahr 2010 wurde an der Universität München die europaweit erste Professur für Spiritual Care etabliert, angesiedelt am Lehrstuhl für Palliativmedizin und passenderweise gleich ökumenisch besetzt mit einem katholischen und einem evangelischen Theologen. Obwohl sie vollständig durch externe Mittel des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft finanziert wurde, stieß die Errichtung dieser Professur auf ganz erhebliche Widerstände innerhalb der medizinischen Fakultät. Ein hochrangiger Arzt und Professor fragte allen Ernstes nach, was denn der genaue Unterschied zwischen Spiritual Care und Aromatherapie sei. Diese Widerstände spiegeln die Schwierigkeiten des etablierten Medizinbetriebs wider, andere Kompetenzen als die ärztliche als gleichwertig zu akzeptieren. Inzwischen hat sich allerdings die Professur gut in die Arbeit der Fakultät eingefügt, und die Lehrangebote werden von den Studenten gerne angenommen. Das ist ein wesentlicher erster Schritt, um die spirituelle Dimension wieder in die moderne Medizin zu integrieren.
Die Rolle der Seelsorger
Eine weitere klassische Antwort auf die Frage, ob ein Gespräch mit dem Seelsorger gewünscht wird, ist: «Na ja, wissenSie, ich bin nicht sehr religiös.» Darauf haben wir eine Standarderwiderung: «Unsere Seelsorger auch nicht!» Der regelmäßig einsetzende Lacherfolg erlaubt dann ein Gespräch darüber, was spirituelle Begleitung in der Palliativmedizin wirklich meint. Eine zentrale Rolle spielt die biographische Arbeit, die Unterstützung in dem Versuch, Sinn im vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Leben (sei der bevorstehende Abschnitt noch so kurz) zu finden. Dazu können außerdem gehören: die Aufarbeitung ungelöster Konflikte, die Erinnerung an vieles Gute, was vergessen war, und eventuell – aber keinesfalls zwingend – auch die Erfahrung des «Getragenwerdens» in einem die eigene Person übersteigenden (transzendenten) Sinnzusammenhang.
Eine weitere Möglichkeit der biographischen Arbeit kann die Erstellung einer schriftlichen Zusammenfassung des eigenen Lebens, sozusagen als «Nachlass» für die Angehörigen und Nachkommen, sein. Dieser Ansatz, der vom kanadischen Arzt Dr. Harvey Chochinov als «Dignity Therapy» (Therapie der Würde) entwickelt wurde, hat bei vielen Patienten positive Resonanz gefunden.[ 15 ] Dies zeigt, wie wichtig es für viele Menschen am Lebensende ist, eine Spur in dieser Welt zu hinterlassen.
Das, was früher die Hauptaufgabe der Krankenhausseelsorger war, stellt heute, rein zeitlich gesehen, nur einen kleineren Teil ihrer Arbeit dar: die Durchführung von Ritualen (Segnung, Krankensalbung, Beichte, Kommunion etc.). Eine Untersuchung der Seelsorgepraxis in acht bayerischen Hospiz- und Palliativeinrichtungen zeigte (bei 250
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