Über das Sterben
von Durstgefühl am Lebensende über die Verhinderung und Behandlung der Mundtrockenheit erfolgen müssen (und nicht über eine künstliche Flüssigkeitszufuhr). Dies geschieht nach den in Tabelle 6.2 genannten Prinzipien.
Tabelle 6.2: Vorbeugung und Behandlung der Mundtrockenheit
– Vermeidung von Medikamenten mit schleimhautaustrocknenden Nebenwirkungen (z.B. Anticholinergika)
– konsequente Mund-/Lippenpflege
– künstlicher Speichel
– Vermeidung von Zitrone/Glyzerin
– Vermeidung von Sauerstoff
– kleine Eiswürfel
– kleine Mengen Flüssigkeit (tropfenweise in den Mund)
Es gibt eine ganze Reihe von Vorteilen einer verminderten Flüssigkeitszufuhr am Lebensende: weniger Erbrechen, Verringerung von Husten und Verschleimung, Verringerung von Wasseransammlungen («Ödemen») in Gewebe, Lunge und Bauch sowie weniger Schmerzen.[ 2 ] Außerdem konnte als Folge der verringerten Flüssigkeitszufuhr eine erhöhte Ausschüttung von sogenannten Endorphinen (morphinähnlichen körpereigenen Botenstoffen) im Gehirn festgestellt werden, welche schmerzlindernd und stimmungsaufhellend wirken.
Insgesamt scheint das Sterben in einem Zustand des leichten Wassermangels die physiologisch für den Körper am wenigsten belastende Form des Sterbeprozesses darzustellen.
Dagegen kann die Flüssigkeitszufuhr in der Sterbephase, insbesondere in Kombination mit einer unnötigen Sauerstoffgabe, zu einer deutlichen Leidensvermehrung führen, wie in Kapitel 7 ausführlich beschrieben wird.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Daten aus einer niederländischen Studie über Pflegeheimpatienten mit fortgeschrittener Demenz, bei welchen auf künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe verzichtet wurde.[ 3 ] Die Datenerfassung erfolgte mit einer speziell für Demenzpatienten entwickelten Leidensskala, die wegen der fehlenden Kommunikationsfähigkeit dieser Patienten auf Fremdbeobachtung basiert. Mittels dieser Skala konnte nach der Entscheidung zur Nichteinleitung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr eine kontinuierliche Abnahme des Leidensstatus der Patienten festgestellt werden. Den Patienten schien es also nach dieser Entscheidung bis zum Tode hin ständig besser zu gehen.
Eine weitere Informationsquelle ist eine Veröffentlichung aus dem
New England Journal of Medicine
über die Erfahrungenvon Hospiz-Krankenschwestern, die Patienten begleiteten, welche ihr Leben durch bewussten Verzicht auf Ernährung und Flüssigkeit aktiv beendeten.[ 4 ] Das ist eine grundsätzlich andere Situation als in der Sterbephase: Diese Patienten waren zwar schwer krank, aber nicht sterbend und haben sich bewusst dafür entschieden, die ihnen noch verbleibende Lebensspanne durch die Beendigung von Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme zu verkürzen. 102 von 307 Pflegekräften hatten eine solche Situation mindestens einmal erlebt (informelle Anfragen des Autors bei Vorträgen auf deutschen Pflegekongressen ergaben, dass ca. 50 % der Pflegenden Ähnliches zu berichten wussten). Es handelt sich also offensichtlich um ein häufig vorkommendes, aber wenig beachtetes Phänomen. Die Daten aus der amerikanischen Studie zeigen, dass 85 % der betroffenen Patienten innerhalb von 15 Tagen starben. Die Pflegekräfte haben rückblickend den Sterbeverlauf dieser Patienten auf einer Skala von 0 bis 9 beurteilt (0 = der schrecklichste denkbare Tod, 9 = der friedlichste denkbare Tod). Der Median lag bei 8, das heißt, diese Patienten erlebten in der Regel einen sehr friedlichen Sterbeprozess.
Diese Daten decken sich mit der klinischen Erfahrung: Die von uns in der Sterbephase betreuten Patienten mit Demenz oder Wachkoma, bei welchen – entweder aufgrund einer fehlenden Indikation oder eines eindeutig festgestellten Patientenwillens – die künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe nicht eingeleitet oder nicht fortgeführt wurde, sind ausnahmslos friedlich verstorben. In mehreren Fällen berichteten die zuständigen Pflegekräfte, dass aus ihrer Sicht nach Beendigung der künstlichen Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr eine Verringerung des Leidenszustandes des Patienten zu beobachten war.
Zusammengefasst lassen diese Daten und Erfahrungen den Schluss zu, dass
eine künstliche Gabe von Ernährung und Flüssigkeit in der Sterbephase in der Regel nicht erfolgen sollte.
Damit ist am besten gewährleistet, dass das Sterben auf natürliche und friedliche Weise ablaufen kann. Wie immer in der Medizin gilt: keine Regel ohne Ausnahmen – aber diese
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