Über das Sterben
umhin, den Schluss zu ziehen, dass
derzeit in deutschen Krankenhäusern und Pflegeheimen vieles in bester Absicht getan wird, was die Menschen ungewollt, aber aktiv am friedlichen Sterben hindert.
Wie sieht die Alternative aus? Letztlich geht es um die Wiederentdeckung dessen, was man das «liebevolle Unterlassen» nennen könnte – wozu gelegentlich mehr Mut gehört als zum Tun –, und um das (Wieder-)Zulassen des natürlichen Todes.
Die Schweiz ist auf diesem Weg schon weiter: Eine Qualitätsrichtlinie im Kanton Zürich schreibt vor, dass sterbende Demenzpatienten keine künstliche Ernährung über PEG bekommen dürfen, außer in begründeten Ausnahmefällen. Aber auch in Deutschland gibt es erste Zeichen eines Umdenkens: In Bayern wurde durch das Sozialministerium und den Landespflegeausschuss ein Leitfaden «Künstliche Ernährung und Flüssigkeitsversorgung» herausgegeben, der die neuesten Erkenntnisse berücksichtigt und zur Arbeitsgrundlage für die Mitarbeiter der Heimaufsicht geworden ist.[ 7 ]
Ernährung und Flüssigkeitsgabe bei Wachkoma-Patienten
Wachkoma und minimaler Bewusstseinszustand
Eine besondere Heftigkeit erfährt die Diskussion um künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe am Lebensende immer dann, wenn es um das Schicksal von Patienten im Wachkoma geht (damit sind im Folgenden Patienten im sogenannten persistierenden vegetativen Zustand – PVS – gemeint).[ 8 ] Bei diesen Patienten ist aufgrund einer schwersten Gehirnschädigung (z.B. durch Unfall oder Sauerstoffmangel bei Minderdurchblutung) die Tätigkeit des Großhirns so gut wie vollständig ausgefallen. Die tieferen Gehirnteile funktionieren allerdings weiter und erlauben damit die Aufrechterhaltung von basalen Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag und Schlaf-Wach-Rhythmus. Das Bewusstsein von Wachkoma-Patienten ist aus neurologischer Sicht nicht mehr vorhanden,da die dafür zuständigen Hirnteile nicht mehr funktionieren.
Ein Wachkoma-Zustand gilt als unveränderbar («persistent») nach spätestens einem Jahr ohne Besserung. Zwar wird in der Presse immer wieder von «Wunderheilungen» berichtet, bei denen Wachkoma-Patienten nach Jahren noch «aufwachen». Schaut man sich diese Fälle genauer an, stellt man allerdings fest, dass zum einen keine ernst zu nehmenden Berichte über spontane Verbesserungen nach einer Krankheitsdauer von über drei Jahren vorliegen. Zum anderen erfüllten die meisten dieser Patienten von vornherein nicht die Kriterien für die Diagnose PVS, sondern litten an der minder schweren Form des sogenannten «minimalen Bewusstseinszustands» (englisch
minimally conscious state
, MCS). MCS-Patienten – zu denen nach neuesten Erkenntnissen auch ein Teil der bisher als PVS diagnostizierten Patienten gehören – weisen Zeichen eines vorhandenen, wenn auch sehr eingeschränkten Bewusstseins auf und haben eine etwas bessere Prognose. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Zuständen ist nicht immer einfach, wird in Zukunft aber durch die Fortschritte in der sogenannten «funktionellen Bildgebung» (einer Methode, die es ermöglicht, die Stoffwechselprozesse im Gehirn sichtbar zu machen) erleichtert werden. Die folgenden Überlegungen beziehen sich ausschließlich auf Patienten mit eindeutig unumkehrbarem (irreversiblem) Wachkoma.
Indikation zur Ernährung beim Wachkoma
Inwiefern lassen sich die weiter oben beschriebenen Grundsätze zur künstlichen Ernährung auf die Situation von Wachkoma-Patientenanwenden? Hier stellt sich zunächst die Frage, ob – bei Fehlen von Informationen über den Patientenwillen – die künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe bei Patienten im Wachkoma grundsätzlich medizinisch geboten («indiziert») ist. Hierzu hat sich Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, damals Präsident der Bundesärztekammer, am 25. Juni 2010 wie folgt öffentlich geäußert:
«Die Ärzteschaft hat mit den ‹Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung› jeder Form aktiver Sterbehilfe eine klare Absage erteilt. Die Grundsätze stellen klar, dass Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit – also sogenannte Wachkoma-Patienten – wie alle Patienten ein Recht auf Behandlung, Pflege und Zuwendung haben. Lebenserhaltende Therapie einschließlich künstlicher Ernährung ist daher unter Beachtung ihres geäußerten Willens oder mutmaßlichen Willens grundsätzlich geboten. In Fällen, in denen der Patientenwille nicht eindeutig zu
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