Über das Sterben
DieserTatbestand wird im deutschen Strafrecht als «Tötung auf Verlangen» definiert und ist gemäß § 216 des Strafgesetzbuches strafbar.[ 1 ] Oft wird in diesem Zusammenhang auch das Wort «Euthanasie» verwendet (aus dem Griechischen: der gute/schöne/leichte Tod). Das bezieht sich zum einen auf die sogenannte Euthanasiegesetzgebung in den Niederlanden, wo die Tötung auf Verlangen, wenn sie von Ärzten unter Beachtung bestimmter formaler und inhaltlicher Einschränkungen durchgeführt wird, seit den 1990er Jahren straffrei bleibt und seit 2001 gesetzlich geregelt ist. Zum anderen werden aber mit diesem Begriff Assoziationen an das «Euthanasie-Programm» der Nationalsozialisten geweckt. Hier ging es nicht um Tötung auf Verlangen in begründeten Einzelfällen, sondern um Massenmord an über 100.000 wehrlosen Menschen, in der Regel geistig oder körperlich Behinderten. Die Aktion wurde von den Ausführenden selbst auch als «Vernichtung lebensunwerten Lebens» bezeichnet.
Es liegt auf der Hand, dass diese zwei Verwendungen des Begriffs «Euthanasie» nichts miteinander zu tun haben und damit eine Verwirrung vorprogrammiert ist. Zudem belastet die Erinnerung an die barbarischen Taten der Nationalsozialisten die Diskussion in Deutschland bis heute, und die Emotionen, die durch die Begriffe «Euthanasie» und «aktive Sterbehilfe» ausgelöst werden, erschweren eine vernünftige Diskussion über Entscheidungen am Lebensende deutlich.
Die Legalisierung der Tötung auf Verlangen, wie sie in den Niederlanden und Belgien beschlossen wurde, soll dazu dienen, die Selbstbestimmung der Menschen am Lebensende zu stärken. Paradoxerweise besteht aber die Gefahr, dass das genaue Gegenteil eintritt und die Regelung einer massiven,wenn auch ungewollten Fremdbestimmung Vorschub leistet, wie das folgende Fallbeispiel zeigt.
Der Dokumentarfilm «Tod auf Verlangen» wurde 1994 in den Niederlanden gedreht. Der Film zeigt die letzten Lebenstage und die Euthanasie eines Patienten mit der Lähmungserkrankung amyotrophe Lateralsklerose (ALS, siehe Kapitel 5). Aus dem Film geht hervor, dass dieser Patient an mindestens zehn verschiedenen belastenden und potentiell behandelbaren, aber nicht behandelten Symptomen litt (unter anderem Atemnot, Schmerzen, Angst und Depression). Zwei Ärzte bestätigten dem Patienten unabhängig voneinander, dass er ohne Euthanasie «qualvoll ersticken» werde. Der Patient entschied sich dann nachvollziehbarerweise für die Euthanasie, die vor laufender Kamera durchgeführt wurde. Das Problem ist nur, dass die Information, die er bekommen hatte, falsch war: Über 90 Prozent der ALS-Patienten sterben friedlich, die ersten Veröffentlichungen dazu waren zum Zeitpunkt des Films schon bekannt.[ 2 ] Die Wahrscheinlichkeit eines ALS-Patienten, friedlich zu sterben, ist sogar größer als die der Allgemeinbevölkerung, und Ersticken kommt so gut wie nie vor.[ 3 ]
An diesem Fall wird deutlich, dass ein Mangel an palliativmedizinischer Kompetenz zu einer verstärkten Fremdbestimmung am Lebensende führen kann, da scheinbar autonome Entscheidungen auf fehlerhaften Grundlagen gefällt werden.
«Passive Sterbehilfe» und medizinische Indikation
Mit der sogenannten «passiven Sterbehilfe» ist juristisch das «Zulassen des Sterbens» gemeint, also der Verzicht auf Maßnahmenmit dem Ziel der Lebensverlängerung, die zumindest theoretisch in der konkreten Situation möglich wären. Es gibt zwei Gründe, die zur Beendigung bzw. Nichteinleitung von lebensverlängernden Maßnahmen führen können und sogar müssen: zum einen die fehlende medizinische Indikation, zum anderen die Ablehnung dieser Maßnahmen seitens des Patienten, die auch in einer Patientenverfügung enthalten sein kann.
Bleiben wir kurz bei dem Begriff der «medizinischen Indikation»: Damit ist die ärztliche Entscheidung über die Sinnhaftigkeit einer medizinischen Maßnahme gemeint, und zwar unabhängig vom Patientenwillen. Maßnahmen, die nach dem Stand der Wissenschaft für den Patienten in seiner aktuellen klinischen Situation wirkungslos oder gar schädlich wären (wie die Gabe von Flüssigkeit und Sauerstoff in der Sterbephase, siehe Kapitel 7), dürfen vom Arzt nicht angeordnet werden, da sie nicht indiziert sind. Die Notwendigkeit dieser ärztlichen Entscheidung als Voraussetzung für die Diskussion über den Patientenwillen ist auch im Patientenverfügungsgesetz berücksichtigt worden.[ 4 ] Ein Verzicht auf Maßnahmen, die unwirksam oder
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