Ueber Den Deister
das kleine Gewässer verloren. Binsen und Gräser wuchsen von den Seiten ins Wasser hinein, das sich durch unzählige winzige Algen in eine hellgrüne Lauge verwandelt hatte. Die Seerosen wucherten von der Mitte des Teiches zum Rand, sodass von der Oberfläche des Wassers kaum noch etwas zu sehen war. Marder fragte sich, wie sich die Goldfische in der Dunkelheit darunter orientieren konnten. Vielleicht jedoch empfanden sie es als angenehm, dass die Sonne sie nicht mit voller Wucht auf den Rücken traf. Marder zog sich eine Badehose und alte Turnschuhe an, dann ließ er sich vorsichtig in den Teich gleiten. Das Wasser sah nicht nur aus wie eine lauwarme Brühe, es fühlte sich auch so an. Marder packte die Binsen an ihren Stielen und versuchte, sie herauszuziehen. Die Pflanzen waren fest verwurzelt und sträubten sich erfolgreich gegen ihre gewaltsame Entfernung. Marder holte eine Gartenschere und schnitt sie kurzerhand unterhalb der Wasseroberfläche ab; nun konnte man den Teich wieder als ein Gewässer erkennen, auch wenn Marder befürchtete, dass die Pflanzen im nächsten Sommer üppiger denn je sprießen würden. Bei den Seerosen gelang es ihm, einen Teil des Wurzelgeflechts vom Teichboden zu entfernen. Marder arbeitete intensiv für zwei Stunden, dann war er erschöpft, legte sich in einen Liegestuhl im Schatten und verschlief den größten Teil des Nachmittags. Als er aufwachte, war der Tag weit genug vorangekommen, dass er sich auf das Abendessen freuen konnte.
Iris servierte ihm einen gemischten Salat aus grünen, gelben und roten Blättern, etwas rohem Sellerie und ein paar Tomatenscheiben – eine ihrer spontanen Kreationen. Dazu zwei Scheiben Vollkornbrot, zum Nachtisch ein Schälchen roter Grütze. Den Rest seines Hungers schluckte Marder still hinunter, er wollte sich nicht das gute Gefühl nehmen, etwas für seine Gesundheit getan zu haben. Danach rückte er sich den Sessel vor dem Fernseher zurecht, mit der Absicht, sich einen preisgekrönten Dokumentarbericht über die letzten Funde in den Gräbern der Pharaonen anzuschauen. Vorher zappte er schnell noch einmal durch die Kanäle, blieb bei einem belanglosen Freundschaftsspiel des HSV während der Vorbereitung auf die neue Bundesligasaison hängen. Das Neueste über die Ausgrabungen im Nahen Osten würde er notfalls in den nächsten Tagen in der Zeitung lesen können, wenn es wichtig genug war, um darüber zu berichten. In der siebzehnten Minute der ersten Halbzeit schlief er ein und verpasste das erste Tor seiner Lieblingsmannschaft aus Hamburg.
Weniger aufregend verlief der folgende Tag. Die Uni und die Volkshochschule hatten weiterhin Semesterferien, und auch seine Yoga-Klasse war in der Sommerpause. Die Kursusleiterin war bei ihrem Guru in Südostasien, um sich neue Übungen und Stellungen beibringen zu lassen, mit denen sie ihn im Herbst quälen konnte. Marder spielte nach dem Aufwecken mit dem Gedanken, bis mittags im Bett zu bleiben. Er hatte vor kurzem in einem Artikel in der Zeitung gelesen, dass manche Genies der Menschheitsgeschichte regelmäßig erst mittags aufgestanden waren. Er zählte sich zwar nicht zu den Genies, auf jeden Fall aber zu denen, die gern einmal einen Vormittag im Bett verbrachten.
An Arbeiten im Haus oder im Garten war bei dieser Hitze schon aus Rücksicht auf die Gesundheit nicht zu denken. Marder und Iris konnten sich nicht entscheiden, ob sie Türen und Fenster schließen sollten, damit die kühleren Temperaturen der letzten Nacht so lange wie möglich im Haus vorhielten, oder ob sie alle Fenster aufreißen sollten, um auf einen Durchzug zu hoffen. Wenn es doch endlich regnete. Sie schworen, nie wieder über einen nassen Sommer zu schimpfen, Regen war tausendmal schöner als diese nicht enden wollende Backofenhitze.
Als der Tag fast vorüber war, konnten sie sich nur mit Mühe erinnern, wie sie ihn verbracht hatten. Jeder von ihnen hatte die Stunden mit einem Buch, einer Zeitschrift oder demonstrativem Nichtstun in einer Ecke des Hauses hinter sich gebracht.
Abends, als die Schatten länger wurden, radelten sie ins aktive Leben zurück. Sie entschieden sich für eine Tour durch das Hinterland zwischen Elbe und den winzigen Anhöhen des Geestrückens. Die aufgestaute Wärme des Tages strahlte von der Erde unter ihren Rädern zurück, die nackten Böden der abgeernteten Felder waren ausgetrocknet und ausgelaugt. Marder konnte sich nur schwer vorstellen, dass auf ihnen im nächsten Jahr wieder Gemüse oder Getreide
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