Ueber Den Deister
wachsen würde. Die Bäche, die in die Nebenflüsse der Elbe flossen, und die Gräben zwischen den Äckern und Wiesen hatten schon seit Tagen kein Wasser mehr geführt.
Nachts schliefen die Marders nackt und strampelten selbst die leichten Bettlaken von sich, die sie über sich gelegt hatten. Sie hatten am Morgen kaum Appetit und begnügten sich zum Frühstück mit Kaffee für ihn, Tee für sie und ein bisschen frischem Obst für beide.
In den letzten Tagen hatte Marder versucht, sein Herz und seinen Verstand mehr und mehr von der Sorge um Vera Matuschek zu lösen. Er wollte mit dem Schicksal dieser Frau nichts mehr zu tun haben. Bei seiner Untersuchung in die Umstände um den Tod ihres Mannes hatte er sie als berechnend und herzlos kennengelernt. Dass er sich trotzdem auf die Suche nach ihr gemacht hatte, lag vor allem daran, dass er Erich Falkenberg einen Gefallen tun wollte. Andererseits war er ehrlich genug zuzugeben, dass bei seinen Bemühungen, Vera zu finden, seine Freude an seinem Beruf wieder erwacht war. Darüber hinaus hatte er Mitgefühl für Anja Matuschek, die sich Sorgen um ihre Mutter machte. Schon um zu beweisen, dass er noch auf der Höhe seiner beruflichen Fähigkeiten war, hätte er die Frau seines ehemaligen Kollegen gern aufgespürt – stattdessen hatte er die Suche erfolglos beenden müssen.
Zwischen Morgen und Mittag betrachtete Marder die Goldfische in seinem Teich. Er versuchte sie zu zählen. Waren es dreiundzwanzig oder doch nur einundzwanzig? Als er diese Frage durch nochmaliges Nachzählen klären wollte, klingelte im Wohnzimmer das Telefon. Er fühlte sich gestört und hatte im Moment keine Lust, sich zu unterhalten. Anrufe am Vormittag waren ohnehin meistens für Iris, also blieb er sitzen, während seine Frau den Hörer abnahm.
»Ja, einen kleinen Moment bitte, er ist da. Ich hol ihn mal eben«, hörte er seine Ehefrau sagen.
»Manfred, es ist für dich«, rief sie durch die Verandatür.
»Wer ist denn dran?«, rief er zurück.
»Frau Matuschek. Sie will dich unbedingt sprechen.«
»Vera Matuschek?«
»Nein. Anja. Nun komm schon, sie ist ganz aufgeregt.«
Marder beschlich das Gefühl, dass etwas Wichtiges geschehen war, vielleicht sogar etwas Dramatisches.
»Ja, hier Marder. Was gibt es, Frau Matuschek?«
»Meine Mutter ist wieder da.«
»Was? Ihre Mutter ist wieder da? Ihre Mutter ist wieder da?«
Es war nicht besonders originell, die Nachricht, die er gerade gehört hatte, zweimal zu wiederholen, aber Marder brauchte ein paar Sekunden, um sie zu begreifen.
»Ja, als ich heute Morgen zu ihrem Haus ging, stand ihr Auto im Carport.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Ja, sie war tatsächlich zu Hause. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin.«
»Was sagt sie? Wo hat sie die ganze Zeit gesteckt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was heißt, Sie wissen es nicht? Sie haben doch mit ihr gesprochen. Haben Sie sie nicht danach gefragt?«
»Natürlich habe ich sie gefragt. Aber sie wollte nichts sagen. Sie hat nur kurz an der Haustür mit mir geredet, wollte aber nicht, dass ich ins Haus komme. Sie meinte, sie wolle sich im Moment nicht mit mir unterhalten, es sei aber alles in Ordnung und sie würde sich bei mir melden, wenn sie so weit wäre.«
»Das war alles?«
»Ja, sie hat mich regelrecht abblitzen lassen.«
Marder konnte fast körperlich durch die Telefonleitung spüren, wie unglücklich Anja war. Sie war außer sich, atmete unregelmäßig. Was sollte er ihr sagen? Er hatte keinen Rat für sie, deswegen stellte er die einzige Frage, die ihm einfiel: »Haben Sie Ihren Freund davon informiert?«
»Ja, ich habe gerade mit Burt telefoniert. Er hat gesagt, er würde sofort Herrn Falkenberg anrufen und ihn benachrichtigen. Was soll ich inzwischen tun?«
»Es tut mir leid, Frau Matuschek, ich kann Ihnen keinen anderen Rat geben, als weiter zu versuchen, mit Ihrer Mutter zu sprechen. Herr Falkenberg wird sich bestimmt bei Ihnen melden. Sollte ich irgendetwas erfahren, rufe ich Sie natürlich an.«
Marder legte auf. Er war sich bewusst, dass er nicht besonders hilfreich gewesen war. Bestenfalls, dachte er, löst sich jetzt alles in Wohlgefallen auf. Wenn Vera zurückgekommen ist, wird vermutlich auch Volkert wieder in Holzminden eingetroffen sein. Vielleicht sitzt er bereits an seinem Schreibtisch und versucht, den Kollegen zu erklären, warum er nicht rechtzeitig aus dem Urlaub zurückkommen konnte. Falkenberg wird ihn sich hoffentlich zur Brust
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