Ueber Den Deister
brauchst. Außerdem werde ich Frau Bistorf-Kuntze anweisen, für mindestens zwei Tage in der Öffentlichkeit nichts über das Auffinden von Volkert verlauten zu lassen. Hinterher werden wir halt der Presse erklären, dass dies aus ermittlungstechnischen Gründen notwendig war.«
Kapitel 1 9
Während Iris den Rest der Lasagne in den Kühlschrank stellte, meinte sie, sie hätte gleich gewusst, dass der Fall für ihn noch nicht abgeschlossen sei. Die Tragödie, die sie vorhergesagt hatte, hatte offensichtlich stattgefunden.
»Mach dich auf einiges gefasst, wenn du mit der Matuschek redest«, warnte sie ihren Mann. »Sie wird dir die tollsten Geschichten erzählen. Aber, wie ich dich kenne, wirst du dich nicht hinters Licht führen lassen. Sogar mir gelingt es nur selten, die Wahrheit so geschickt zu verdrehen, dass du selbst kleine Lügen nicht bemerkst.«
Dann half sie ihm, das Notwendige für zwei oder drei Nächte zu packen, küsste ihn zum Abschied und sagte: »Sei ein bisschen vorsichtig, Schatz. Ich glaube zwar nicht, dass Frau Matuschek mit einer Pistole in der Hand auf dich wartet, aber bei manchen Leuten kann man nie wissen, wie sie reagieren, wenn sie verzweifelt sind.«
»Mach dir keine Sorgen, Vera Matuschek weiß ja nicht einmal, dass die Polizei Volkerts Wagen aus dem Hafen gezogen hat. Und sie hat keine Ahnung, dass ich auf dem Weg zu ihr bin. Also kann sie nicht mit einer Waffe auf mich warten.« Marder fuhr am späten Nachmittag ab. Er plante, Vera am nächsten Morgen aufzusuchen. Er hatte zuvor Brenner angerufen, der von Falkenberg über den Fund von Volkerts Leiche in Kenntnis gesetzt worden war. Falkenberg hatte Brenner angewiesen, Veras Tochter Anja nicht darüber zu informieren, egal wie schwierig das seiner Lebensgefährtin gegenüber sei. Frühestens in zwei Tagen dürfte diese Tatsache öffentlich
gemacht werden, und Anja sei aus seiner Sicht ein Teil der Öffentlichkeit. Marder bat Brenner, das Haus der Matuscheks am Abend und über Nacht unauffällig observieren zu lassen. Das war wahrscheinlich überflüssig, schließlich hatte Vera keine Ahnung, was auf sie zukam.
Er entschied sich, nicht in Barsinghausen zu übernachten, und fuhr von der Autobahn-Abfahrt westlich nach Bad Nenndorf. Er hatte dort ein Zimmer in einem Hotel gebucht, das unmittelbar am Kurpark des Staatsbades lag. Marder wollte dadurch vermeiden, dass Vera Matuschek ihn durch einen dummen Zufall vor seinem Besuch zu Gesicht bekam, ihr Haus lag schließlich ganz in der Nähe der Pension »Marianne«, die einzige Unterkunft, die er sich in Barsinghausen vorstellen konnte.
Der Abend war sehr warm, die Hitze des Tages hing auch nach Sonnenuntergang über der kleinen Stadt. Marder vermisste die kühle Luft in der Dämmerung, die er in Schweden erst als angenehm und dann als zu kalt empfunden hatte. Er konnte sich nicht an das heiße Klima gewöhnen, er litt jeden Tag ein bisschen mehr und hoffte, dass dieser Sommer nicht der erste von noch heißeren war, die die Propheten der Erderwärmung androhten.
Auf das Abendessen würde er heute verzichten – die Lasagne vom Mittag lag ihm noch wohltuend im Magen. Stattdessen würde er sich ein Schokoladeneis gönnen, das stillte den Resthunger und versprach gleichzeitig Abkühlung. Als Sättigungsbeilage würde er eine doppelte Portion Schlagsahne darüberlegen lassen. Fast alle Tische vor den Cafés in der Fußgängerzone und am Rande des Kurparks waren besetzt, die Eisdielen im Ort profitierten von den Kurgästen, die in den Restaurants der Stadt eine Ergänzung zu ihrer Diät in den Sanatorien suchten. So ließ sich vermutlich die gesunde, aber spartanische Kost in den Kliniken leichter ertragen.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich an einen Tisch niederzulassen, an dem bereits eine ältere Frau und ein älterer Mann saßen. Der Mann trug eine beige Weste aus fünfundsechzig Prozent Polyester und fünfunddreißig Prozent Baumwolle. (Marder hatte zu Hause die gleiche im Schrank hängen. Iris fand sie schrecklich, sie sagte, er sähe darin aus wie ein alter Mann von der Stange.) Die Frau trug eine hochgeschlossene Bluse in Pink, deren Rüschen ihren Hals fest umklammerten. Pink schien die aktuelle Lieblingsfarbe der Kurgäste zu sein, sogar einige Herren, die vorbeiflanierten, trugen Hemden in diesem Farbton. Die Frau und der Mann an dem Tisch sprachen nicht miteinander, schauten sich auch nicht an. Wo zwei Fremde zusammensitzen, können auch drei sitzen, dachte Marder. Nach
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