Ueber Den Deister
der gemurmelten Frage, ob es recht sei, die ohne Antwort blieb, nahm er Platz. Marder hatte seinen Eisbecher zur Hälfte vertilgt, als der schweigsame Herr die schweigsame Dame fragte, ob er jetzt bezahlen solle, woraufhin sie nickte und »Von mir aus« antwortete. Der Mann rief den Kellner und beglich die Rechnung für einen Cappuccino und einen Café Latte. Daraufhin standen beide auf, ohne sich von Marder zu verabschieden, und gingen in den Abend.
Wenige Minute später näherte sich eine Dame, die ihrer Aura nach aus besserem Hause war. Sie schaute Marder fragend an, der bejahend lächelte. Sie trug an Hals und Ohren goldene Schmuckstücke, die Marder als echt einschätzte. Sie rief den Kellner bei seinem Vornamen und gab ihm förmlich die Hand, als er vor ihr stand. Der Kellner hatte pechschwarzes Haar und machte einen finster entschlossenen Eindruck – er entsprach seinem Äußeren nach in etwa Marders Vorstellung eines Mitglieds der Mafia. (Er hatte in all seinen Berufsjahren bei der Polizei nie einen echten Mafioso kennengelernt.) Die Dame bestellte ein Glas Rotwein, einen Amaretto und ein Mineralwasser, öffnete ihre Handtasche, holte ein Buch hervor und kramte in den Tiefen der Tasche. Endlich entdeckte sie, was sie suchte: einen Kugelschreiber, der sich ganz unten versteckt hatte. Sie las aufmerksam in dem Buch, von dem sie die äußere Hülle entfernt hatte, deshalb konnte Marder nicht erkennen, wie es hieß. Hin und wieder strich sie eine Stelle an und ließ sich dabei weder von Marder noch von anderen Gästen stören.
Marder verabschiedete sich mit einem leisen Murmeln, die Dame blickte kurz auf, lächelte freundlich und sagte »Auf Wiedersehen«.
Als Marder bei seinem Hotel ankam, nahm er Volkerts Jackett vom Rücksitz seines Autos, wo es seit einer gefühlten Ewigkeit gelegen hatte, und warf es in einen Altkleider-Container des Deutschen Roten Kreuzes, der am Rande des Parkplatzes stand.
Kapitel 2 0
Als ihn die Sonne weckte, war sich Marder bewusst, dass es der Tag war, an dem er vermutlich die Wahrheit über Veras Verschwinden und Volkerts Tod erfahren würde. Während er sich im Bad für den Tag vorbereitete, überkam ihn das beunruhigende Gefühl, dass er das, was er heute hören würde, nicht wissen wollte. Am liebsten wäre er in sein Auto gestiegen und nach Stade zurückgefahren. Aber dazu war es nun zu spät, er hatte sich Erich Falkenberg gegenüber verpflichtet, Vera Matuschek zu verhören, und er würde es nun durchziehen.
Vera Matuschek bändigte gerade die Wiese in ihrem Vorgarten mit einem elektrischen Rasenmäher, als Marder eintraf. Der Kommissar hatte sie vor zwei Jahren stets in makelloser und damenhafter Kleidung angetroffen, heute sah sie wie eine Frau von nebenan aus. Sie trug Jeans und ein lose hängendes hellblaues Top, von Make-up keine Spur. Sie bemerkte Marder erst, als er unmittelbar neben ihr stand. Erschrocken blickte sie auf, sah ihn an und schien für einen Moment zu überlegen, woher sie diesen Mann kannte. Dann fiel es ihr ein.
»Was machen Sie denn hier? Sie sind doch der Kommissar, der hier war, als mein Mann gestorben war.«
»Ja, der bin ich.«
»Entschuldigen Sie, aber wie war Ihr Name noch? Das habe ich leider vergessen.«
»Marder, Manfred Marder.«
»Sie sind aber nicht aus der Gegend hier, wenn ich mich recht erinnere. Sie kommen doch aus … äh … irgendwo an der Elbe.«
Vera Matuschek blickte Hilfe suchend in den strahlend blauen Himmel. Marder holte sie auf die Erde zurück.
»Das ist richtig. Ich komme aus Stade.«
Vera hatte sich von der Überraschung noch nicht ganz erholt. Sicherlich fragte sie sich, was der Mann aus Stade von ihr wollte. Vielleicht war er ja zufällig in Barsinghausen, um im Deister zu wandern, und kam dabei zufällig an ihrem Haus vorbei, während sie beim Rasenmähen war. Sie entschied sich für ein unverbindliches Gespräch.
»Dieser Rasen hat es wirklich nötig. Ich habe mich in der letzten Zeit nur wenig darum gekümmert, da ist er etwas verwildert.«
»Das kann ich sehen, aber ich bin nicht gekommen, um über Ihren Rasen zu sprechen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie von mir wollen. Die Untersuchungen zum Tod meines Mannes sind doch längst ab geschlossen. Da gibt es nichts mehr zu bereden, und selbst wenn Sie meinen, das wäre so, werde ich nichts mehr dazu sa gen. Das ist für mich ein für alle Mal erledigt und vergessen.«
Marder beobachtete Vera aufmerksam.
»Ich bin nicht wegen Ihres Mannes
Weitere Kostenlose Bücher