Über den Fluß und in die Wälder
Sie, daß man hier was abwerfen wird?»
«Nein, das hat man nie getan.»
Der Colonel war jetzt ein General mit vier Sternen, voller Grimm und in Todesqual und mit dem Bedürfnis nach Selbstvertrauen, das er für den Moment durch das Einnehmen der Tabletten wiedererlangt hatte, und sagte: «Ciao, Domenico», und verließ das Gritti.
Er rechnete damit, daß er zwölf und eine halbe Minute benötigen würde, um zu dem Platz zu gelangen, wo seine einzig wahre Liebe wahrscheinlich ein wenig verspätet eintreffen würde. Er ging behutsam und im richtigen Tempo. Auf den Brücken war es immer dasselbe.
24
Seine Liebste war genau zu der Zeit da, die sie angegeben hatte. Sie war in dem harten Morgenlicht, das auf den überschwemmten Platz fiel, so schön wie immer und sagte: «Bitte, Richard, geht es dir auch wirklich gut? Bitte.»
«Gewiß», sagte der Colonel. «Meine neugierige Schöne.»
«Bist du auf dem Markt zu all unseren Ständen gegangen?»
«Nur zu einigen. Ich bin nicht dahin gegangen, wo sie die Wildenten haben.»
«Danke.»
«Wofür denn?» fragte der Colonel. «Ich gehe nie dorthin, wenn wir nicht zusammen sind.»
«Glaubst du nicht, daß ich auf die Jagd mitkommen sollte?»
«Nein. Ich bin ganz sicher, Alvarito hätte dich aufgefordert, wenn er dich gern dabei gehabt hätte.»
«Vielleicht hat er mich nicht aufgefordert, weil er mich gern dabei gehabt hätte?»
«Das kann sein», sagte der Colonel und erwog dies zwei Sekunden lang. «Was willst du zum Frühstück?»
«Das Frühstück hier taugt nichts, und ich mag die Piazza nicht, wenn sie überschwemmt ist. Es ist traurig hier, und die Tauben haben keinen Platz, wo sie sich hinsetzen können. Es ist eigentlich nur zum Schluß nett, wenn die Kinder darauf spielen. Wollen wir gehen und im Gritti frühstücken?»
«Möchtest du gern?»
«Ja.»
«Schön, dann wollen wir dort frühstücken. Ich hab meines bereits gehabt.»
«Wirklich?»
«Ich werde mir Kaffee und warme Brötchen bestellen und mit ihnen herumspielen. Bist du furchtbar hungrig?»
«Furchtbar», sagte sie ehrlich.
«Wir werden mit allen Schikanen frühstücken», sagte der Colonel. «Du wirst nachher wünschen, du hättest niemals was von Frühstück gehört.»
Als sie mit dem Wind im Rücken gingen und ihr Haar herrlicher wehte als irgendein Banner, fragte sie ihn und schmiegte sich dicht an ihn: «Liebst du mich noch in dem kalten, harten venezianischen Morgenlicht? Es ist wirklich kalt und hart, nicht?»
«Ich liebe dich, und es ist kalt und hart.»
«Ich hab dich die ganze Nacht durch geliebt, als ich im Dunkeln Ski lief.»
«Wie machst du denn das?»
«Die Abfahrten sind die gleichen, nur daß es dunkel ist, und der Schnee ist dunkel statt hell. Man läuft Ski wie sonst, beherrscht und gut.»
«Bist du die ganze Nacht über Ski gelaufen? Das wären eine Menge Abfahrten.»
«Nein. Nachher hab ich ganz tief und fest geschlafen, und ich bin vergnügt aufgewacht. Du warst bei mir, und du hast wie ein Baby geschlafen.»
«Ich war nicht bei dir, und ich hab nicht geschlafen.»
«Jetzt bist du bei mir», sagte sie und drängte sich dicht an ihn.
«Und wir sind beinah dort.»
«Ja.»
«Hab ich dir schon richtig gesagt, daß ich dich liebe?»
«Du hast es mir gesagt. Aber sag es mir noch mal.»
«Ich liebe dich», sagte er. «Akzeptier es bitte spontan und formell.»
«Ich akzeptiere es, wie du möchtest, so lange es wahr ist.»
«Das ist die rechte Einstellung», sagte er. «Du Gute, Tapfere, Schöne. Wende dein Haar ganz zur Seite, wenn wir oben auf der Brücke sind, so daß es schräg davonweht.»
«Das ist leicht getan», sagte sie. «Magst du’s?»
Er blickte sie an und sah ihr Profil und ihre zauberhafte Frühmorgenfarbe und ihre schwellende Brust unter dem schwarzen Sweater und ihre Augen im Wind, und er sagte: «Ja, ich mag’s.»
«Das freut mich sehr», sagte sie.
25
Im Gritti wies ihnen der Gran Maestro den Tisch an, der neben dem Fenster war, das auf den Canal Grande hinausging. Außer ihnen war niemand im Speisesaal.
Der Gran Maestro war fröhlich und morgendlich frisch. Er fand sich Tag für Tag mit seinen Geschwüren ab und mit seinem Herzen auf dieselbe Art. Wenn sie ihm nicht weh taten, tat auch ihm nichts weh.
«Ihr pockennarbiger Landsmann frühstückt im Bett in seinem Hotel, hat mir mein Kollege erzählt», vertraute er dem Colonel an. «Vielleicht kommen ein paar Belgier. ‹Die Tapfersten unter ihnen aber sind die Belgier›, zitierte
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