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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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dachte der Colonel.
    Er ging durch eine Gasse und war auf dem Fischmarkt.
    Auf dem Markt lagen die schweren graugrünen Hummer mit den magentaroten Obertönen, die bereits ihren Tod im siedenden Wasser ankündeten, auf dem glitschigen Steinboden ausgebreitet oder in Körben oder in Kisten, die mit Henkeln aus Tauen versehen waren. Sie sind alle durch Hinterlist zu Gefangenen gemacht worden, dachte der Colonel, und ihre Scheren sind geknebelt.
    Dort lagen die kleinen Seezungen und ein paar Albacore und Bonitos. Die sehen wie Kugeln aus mit ‘nem Schiffsheck daran, dachte der Colonel, irgendwie würdevoll im Tod und mit dem riesigen Auge der Hochseefische.
    Es war nicht ihre Bestimmung, gefangen zu werden; wären sie nur nicht so gefräßig gewesen! Die arme Seezunge lebt in seichtem Wasser den Menschen zur Nahrung. Aber diese anderen, umherschweifenden Kugeln leben in großen Zügen im blauen Wasser und ziehen durch alle Ozeane und Meere.
    Einen Nickel geb ich dir jetzt für deine Gedanken, dachte er. Wollen mal sehen, was es sonst gibt.
    Da gab es viele Aale, die noch lebten, aber nicht mehr dreist auf ihr Aaltum vertrauten. Es gab schöne Garnelen, aus denen sich ein Scampi brochetto machen ließ, aufgespießt und geröstet auf einem degenartigen Instrument, das man wie einen Brooklyner Eisspieß benutzen konnte. Es gab mittelgroße Krebse, grau und schillernd, die auch ihrerseits auf das siedende Wasser und ihre Unsterblichkeit warteten und deren ausgepulte Schalen bei Ebbe leicht auf dem Canal Grande hinausschwemmten.
    Der behende Krebs mit Fühlern, länger als der Schnurrbart von jenem alten japanischen Admiral, da ist er, um zu unserem Wohl zu sterben, dachte der Colonel. Ach, du christlicher Krebs, dachte er, Meister des Rückzugs, mit deinem wunderbaren Sicherheitsdienst in jenen zwei leichten Antennen, warum hat man dich nicht über Netze belehrt und über die Gefährlichkeit von Lichtern aufgeklärt?
    Muß irgendwas versagt haben, dachte er.
    Jetzt musterte er all die vielen kleinen Schalentiere, die scharfrandigen Venusmuscheln, die man nur roh essen sollte, wenn man mit seinen Typhusinjektionen nicht im Rückstand war, und all die kleinen Köstlichkeiten.
    Er ging an diesen vorbei und blieb stehen, um einen Händler zu fragen, wo er seine Muscheln herbekäme. Sie kamen von einer guten Stelle, wo keine Abwässer waren, und der Colonel ließ sich sechs öffnen.
    Er trank den Saft und schnitt das Fleisch heraus; er schnitt mit dem gebogenen Messer, das ihm der Mann gereicht hatte, ganz dicht an der Muschel entlang. Der Mann hatte ihm das Messer gereicht, weil er aus Erfahrung wußte, daß der Colonel dichter an der Muschel entlangschnitt, als man es ihm selbst beigebracht hatte.
    Der Colonel bezahlte ihm den Hungerlohn, den sie kosteten, der viel mehr betragen mußte, als der Hungerlohn, den die erhielten, die sie fingen, und er dachte: Jetzt muß ich mir noch die Fluß- und Kanalfische ansehen und dann ins Hotel zurückgehen.

23
    Der Colonel betrat das Vestibül des Gritti Palace Hotel, nachdem er die Gondoliere entlohnt hatte. Hier drinnen im Hotel war kein Wind.
    Es hatte zweier Männer bedurft, um die Gondel vom Markt aus den Canal Grande heraufzurudern. Sie hatten beide schwer gearbeitet, und er hatte ihnen bezahlt, was es wert war und noch etwas mehr.
    «Waren irgendwelche Anrufe für mich?» fragte er den Concierge, der jetzt Dienst tat.
    Der Concierge war schmächtig und fix; er hatte scharfe Züge; er war intelligent und immer höflich, ohne unterwürfig zu sein. Er trug die gekreuzten Schlüssel seines Amts auf den Aufschlägen seiner blauen Uniform ohne Wichtigtuerei. Er war der Concierge. Es ist ein Rang, der ungefähr dem eines Captain entspricht, dachte der Colonel. Ein Offizier, aber kein Gentleman. Früher, in den guten alten Zeiten, hätte man Master Sergeant gesagt, nur daß er immer mit den Bonzen zu tun hat.
    «Die Contessa hat zweimal angerufen», sagte der Concierge auf englisch. Oder wie man die Sprache, die wir alle sprechen, benennen soll, dachte der Colonel. Lassen wir es bei Englisch. Das ist ja ungefähr alles, was man ihnen gelassen hat. Man sollte ihnen gestatten, den Namen der Sprache zu behalten. Cripps wird sie wahrscheinlich sowieso sehr bald rationieren.
    «Bitte, verbinden Sie mich sofort mit ihr», sagte der Colonel.
    Der Concierge begann die Nummer zu wählen.
    «Sie können da drüben sprechen, Colonel», sagte er. «Ich habe die Verbindung hergestellt.»
    «Sie sind

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