Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
denn alle gegen Nellie?«
Wenn Moira mir schon blaue Flecken auf meinen Arm quetscht, kann sie mir ja wohl zumindest erzählen, was hier eigentlich los ist.
»Uralte Geschichte«, sagt Moira und schafft es mit ihrem lässigen Achselzucken beinahe, mich zu überzeugen, dass nie etwas Dramatischeres vorgefallen sei als eine kleine Schulhofkeilerei um den schönsten Lippenstift. Aber die Erinnerung an solchen Kinderkram würde bei niemand so
ein ängstliches Zucken in die Mundwinkel treiben, wie es Violets Lippen gerade zum Bibbern bringt. Sie weicht meinem Blick aus und sieht angestrengt aus dem Fenster.
»Nellie ist meine Schwester«, sagt sie viel später mit leicht zitternder Stimme. Ich fange im Rückspiegel Moiras stirnrunzelnden Blick nach hinten auf.
»Das hätte sie doch morgen von Nellie sowieso erfahren«, rechtfertigt sich Violet resigniert. »Wir hatten vor vielen Jahren einen Riesenstreit. Sie wollte nicht, dass ich Henry heirate, und hat sich nie wieder ganz beruhigt«, ergänzt sie zu mir gewandt.
Das ist nur die halbe Wahrheit, das spüre ich ganz genau. Aber Violet sieht so unglücklich aus, dass ich es nicht mehr wage, weiterzufragen. Ich fühle mich ohnehin schuldig, ohne ganz genau zu wissen, was ich eigentlich getan habe. Das Schweigen im Wagen ist erdrückend. Beschämt erinnere ich mich daran, wie warm diese Mädels mich empfangen haben. Fast rutscht mir raus, dass ich das Treffen abblasen werde. Andererseits ist das doch albern, dieses »Meine Freunde sind deine Freunde, und meine Feinde sind dann auch deine Feinde«. Man wird sich ja wohl eine eigene Meinung bilden dürfen. Und wenn so viel dagegen spricht, dass ich Nellie treffe, sollen sie mich gefälligst in ihr Geheimnis einweihen. Hinter der gegenseitigen Ablehnung steckt viel mehr als nur ein überflüssiger alter Zickenkrieg, da bin ich mir ganz sicher. Mir läuft es immer noch kalt den Rücken hinunter, wenn ich an den Blick denke, den Nellie vorhin Violet – also ihrer eigenen Schwester – und Moira zugeworfen hat. Vor meiner Haustür verabschiede ich mich von allen mit einer Umarmung.
Moira sieht mich noch ein letztes Mal misstrauisch an.
»Aber du gehst morgen nicht deswegen zu Nellie, weil dir noch diese Zuckermann-Geschichte im Kopf rumspukt, oder?«
Also gibt es wirklich eine Verbindung zwischen Nellie, Zuckermann und ihnen – und Moira hat es gerade aus Versehen verraten. Ha! Ha! Ha!
»Warum sollte ich deswegen zu Nellie gehen?«, frage ich gespielt unschuldig. Moira erkennt ihren Fehler offenbar und zuckt mit den Achseln. Sie steigt ein. Die anderen zwei sehen betreten aus. Mir wird ganz mulmig. Für einen kleinen Moment bekomme ich Angst, dass ich für ein Geheimnis, das mich nichts angeht und das ich am Ende doch nicht aufdecke, eine aufkeimende Freundschaft aufs Spiel setze. Ich gebe nach und versuche zu retten, was zu retten ist.
»Nun habe ich ihr schon zugesagt und muss hingehen. Darf ich denn dann trotzdem noch zu euch kommen?«, frage ich kleinlaut.
»Aber natürlich«, versichern Violet und Teresa gleichzeitig. Moira umarmt mich kurz noch mal und lacht dann laut: »Natürlich, ich mag Sturheit und Hartnäckigkeit.«
Violet sieht sie besorgt an. Moira weiß irgendetwas, und ich halte es für gut möglich, dass sie der zarten Violet helfen will, ein Geheimnis zu wahren. Nur welches?
Die Damen brausen davon.
»Und, hattest du einen schönen Abend, Lu?«, fragt mein Vater, als ich mich neben ihm vor den Kamin setze. Frederick und Seamus sind bereits gegangen.
»Ich habe im Bingo gewonnen«, sage ich gespielt fröhlich und wedele so heftig mit dem Schinken, dass mir fast der Arm abfällt.
»Und ich im Skat«, ruft mein Vater mit ungespielter Begeisterung
und hält stolz eine Flasche Gin hoch. Offenbar der Spieleinsatz.
»Ich schneide ein paar Scheiben Schinken und Brot ab, du schenkst den Gin ein, und wir machen uns noch einen schönen Abend«, sage ich bestimmt. Und so lungern wir noch eine ganze Weile nebeneinander herum und knabbern einträchtig schweigend an Schinkenbroten. In Ermangelung anderer Gesprächspartner vertraue ich ihm zumindest auszugsweise an, was ich herausgefunden habe: leider so gut wie gar nichts.
»Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die Familie etwas zu verbergen hat. Manchmal mag man Menschen einfach nicht, ohne dass eine dramatische Geschichte dahintersteckt. Mir gefällt Nellie auch nicht, ohne dass uns eine dunkle gemeinsame Vergangenheit verbindet. Steigere dich bloß nicht
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