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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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Dezibelzahl, die der eines startenden Flugzeugs entsprechen dürfte. Kann ihm nicht eine von uns einfach ein Kopfkissen ins Gesicht drücken, um ihn von seinem Elend zu erlösen?

    Als wir noch alle etwas verkatert und verlottert in unseren Schlafroben – ausgebeulte Baumwoll-Leggings und T-Shirts mit Comicmotiven – am Frühstückstisch sitzen, klopft es an der Tür. Hoffentlich ist das keiner von den Menschen, die wir heute noch heimsuchen wollen, um ihnen unsere Rettungspläne zu unterbreiten. Bei dieser gewaltigen Mission würden wir doch ganz gerne gut aussehen – und perfekt vorbereitet sein. Und wir sind noch mittendrin, all die genialen Pläne auszufeilen und zu überlegen, wie wir sie den Herrenhausbewohnern schmackhaft machen können. Bei Tageslicht und einem schnöden Kaffee ohne Schuss fällt das schon wesentlich schwerer als mit einem kleinen Schwips in der Birne.
    Vor der Tür steht Colin und mustert neugierig meine Garderobe.
    »Hallo, Louisa, irgendwie sahst du vor einer Woche noch ganz anders aus.«
    »Ich habe mir ein paar bequemere Sachen aus Deutschland mitgebracht. Ist einfach praktischer«, nuschele ich verlegen.
    Aus der Küche dringen die lauten Stimmen meiner Freunde.
    Es wäre sehr unhöflich, Colin nicht hereinzubitten. Wenn ich nur wüsste, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll! Einerseits möchte ich ganz besonders abweisend wirken, damit er nicht denkt, er komme mit seiner schmutzigen Masche bei mir einfach so durch. Andererseits sollte ich halbwegs freundlich zu ihm sein, weil er derzeit mein einziger Hoffnungsschimmer in der Zuckermann-Affäre ist.
    »Kaffee?«, frage ich. Das ist knapp genug, um nicht zu einladend
zu wirken, und höflich genug, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen.
    Er nickt und folgt mir in die Küche.
    Das Schnattern verstummt. Alle beäugen den Eindringling genauso interessiert wie er sie.
    »Das ist Colin«, sage ich. Tanja und Juli werfen sich sofort vielsagende Blicke zu. Ich wünschte, ich hätte ihnen gar nichts erzählt.
    »Der Dozent?«, fragt Juli.
    »Ja«, zische ich.
    »Was machen die Studentinnen?«, fragt Juli dreist.
    Gott, in solchen Momenten könnte ich sie alle erwürgen.
    Verdutzt blinzelt Colin, während mein Vater ihm einen Kaffee einschenkt. »Öh, ich hoffe doch, die sind alle wohlauf! «
    »Schön, dich mal wiederzusehen«, sagt mein unschuldiger Vater mit echter, warmer Herzlichkeit in der Stimme. Er weiß ja nichts von Colins Vergehen. Und ich werde es ihm auch nicht erzählen. Das würde sein Weltbild viel zu sehr durcheinanderbringen und ihn sehr, sehr traurig stimmen.
    »Setz dich doch, Colin.« Mein Vater deutet auf einen der Stühle.
    Tanja und Juli starren immer noch. Ich sag doch, ich hasse die beiden. Colin nimmt sich gerade so viel Kaffee, dass er ihn notfalls in einem Schluck austrinken und verschwinden könnte. Er lässt sich auch gar nicht erst gemütlich auf einem der Stühle nieder, sondern lehnt sich fluchtbereit nur ganz sacht an die Anrichte. Wer hätte das gedacht, wir haben tatsächlich mal etwas gemeinsam: totale Überforderung mit der Situation.
    »Wie war denn die Reise?« Colin ignoriert das alberne Gebaren
meiner Freunde so gut er kann und kehrt zu seinen höflichen Umgangsformen zurück. Die Angesprochenen quatschen alle gleichzeitig los – aber nur Nonsens, den man ohnehin nicht verstehen muss.
    »Gut.«
    »Sehr angenehm.«
    »Wirklich kurzweilig.«
    »Ja. Nett.«
    Und so weiter.
    Colin räuspert sich und kippt hastig seinen Kaffee hinunter. »Aha. Schön, schön ...«
    Fast tut er mir leid. Ich will gerade etwas Erbauliches über das Wetter sagen, da kommt er mir schon zuvor.
    »Eigentlich wollte ich nur kurz mit Louisa sprechen. Louisa, kommst du mal kurz mit in den Flur?«
    Ich folge ihm errötend und bin extrem dankbar, dass uns kein Pfeifen und Johlen folgen.
    »War irgendetwas nicht in Ordnung?« Verwirrt blickt Colin auf die geschlossene Tür, hinter der meine Freunde gerade in nicht zu überhörendes Kichern ausbrechen. Ist das peinlich! Irgendwie verlässt man ja doch sein ganzes Leben lang den Schulhof nicht, man kaschiert es nur besser – die kindischen Rangeleien, Einfälle, Klüngel und Bedürfnisse. Und an manchen Tagen kaschiert man es nicht mal geschickt. Ziemlich beängstigender Gedanke, dass ja auch die Menschen, die unser Land regieren und uns in Operationssälen unters Messer nehmen, auch nur die Kinder sind, die anderen im Sandkasten mal die Schaufel über den Kopf gebraten haben. Ich

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