Ueber den Himmel hinaus - Roman
an der Hüfte. Der Bursche streichelte sie mit dem Handrücken. Sie lächelte erneut, erregt und eingeschüchtert zugleich von seinem unschicklichen Benehmen. Mit klopfendem Herzen ließ sie die Hand zur Seite sinken, und er ergriff sie sogleich, legte sie sich beiläufig auf den Schoß und breitete den Mantel darüber. Sie konnte eine feste Wölbung unter dem Stoff seiner Hose fühlen. Sie war nicht unerfahren, was Männer anbelangte; sie hatte bereits Dutzende Freunde gehabt, aber diese Dreistigkeit fand sie berauschend. Sie lehnte sich an ihn, und er schlang ihr einen Arm um die Schulter. Seine Hand tastete sich zu ihrer Brust vor.
Dann flog die Tür zum nächsten Wagen auf, ein Hauch abgestandener Luft strömte herein, und der Kontrolleur
kam zurück. Sie fuhren auseinander. Natalja klopfte das Herz bis zum Hals. Sie wollte - sie musste - mit diesem Adonis irgendwo hingehen, wo sie ungestört waren, damit sie sich ungeniert vergnügen konnten.
»An der nächsten Haltestelle muss ich aussteigen«, murmelte sie.
»Ich auch. Ich bin eigentlich verabredet, aber …«
»Zu mir können wir nicht gehen.«
»Gibt es hier einen Park oder so?«
Sie lachte. Sie fühlte sich jung und wild. »Du lässt mich all meine guten Manieren vergessen. Ich weiß noch nicht einmal, wie du heißt.«
Er grinste. »Konstantin.«
Sieben Uhr. Draußen war es bereits dunkel. Konstantin hätte seit einer Stunde hier sein müssen. Tante Stasja legte Lena, die am Fenster stand, sanft eine Hand auf die Schulter. »Sollen wir nicht essen?«
Lena wandte sich um. »Können wir noch zehn Minuten warten?«
»Mir knurrt der Magen«, sagte Sofi.
Natalja schwieg. Sie saß auf dem Sofa und musterte Lena bekümmert.
»Ich fürchte, dein Konstantin wird nicht kommen.«
Tante Stasja hatte recht. Lena hätte ihn gern angerufen, aber er hatte zu Hause kein Telefon. Sie wusste nicht, was sie mehr fürchtete - dass ihm auf dem Weg zu ihr etwas zugestoßen war oder dass er sie einfach versetzt hatte. Sie sah ein letztes Mal aus dem Fenster. Natalja und Sofi saßen bereits am neuen Esstisch, den sie in eine Ecke des ohnehin schon überfüllten Wohnzimmers gestellt hatten.
Widerstrebend gesellte sich Lena zu ihnen. Tante Stasja
kam mit einem großen Stapel Blini aus der Küche, doch Lena stocherte nur schweigend in ihrem Pfannkuchen herum.
Schließlich tippte Tante Stasja mit der Rückseite ihrer Gabel Lenas Hand an. »Siehst du, deshalb halte ich es für keine gute Idee, wenn ein Mädchen in deinem Alter schon einen Freund hat.«
»Das hältst du doch in keinem Alter für eine gute Idee, Tante Stasja«, wandte Natalja ein.
»Das ist nicht wahr«, erwiderte sie. »Aber bei jungen Männern ist nun einmal Vorsicht geboten. Sie wollen alle … Ihr wisst schon.«
Natalja verdrehte die Augen. »Was? Mit uns ›intim werden‹?«
So drückte sich Tante Stasja für gewöhnlich aus, wenn sie über Geschlechtsverkehr sprach, was ohnehin höchst selten der Fall war. Eigentlich nur, um sie gelegentlich daran zu erinnern, dass erst die Hochzeit kommen sollte.
Lena war zwar nicht prüde, aber sie wollte ihren Körper nur mit jemandem teilen, den sie liebte, und in letzter Zeit hatte sie sich ausgemalt, dieser Jemand könnte Konstantin sein. Sie wusste , dass es ihm mit ihr ähnlich ging. Warum sonst sollte er ihr im Hotel wohl ständig auflauern, um sie so leidenschaftlich zu küssen? Furcht stieg in ihr auf. Wenn er dasselbe für sie empfand wie sie für ihn, dann musste er unterwegs einen Unfall gehabt haben, sonst wäre er gekommen. Sie erhob sich. »Ich muss ihn suchen gehen. Womöglich ist er krank oder verletzt oder er …«
»Red keinen Unsinn«, sagte Natalja sanft. »Es geht ihm bestimmt gut.«
»Wenn es ihm gut geht, warum ist er dann nicht hier?« Lenas Stimme zitterte. Sie schluckte die Tränen hinunter.
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann sagte Stasja: »Vielleicht waren seine Gefühle ja nicht so tief, wie du dachtest.«
Lena war am Boden zerstört. Sie fühlte die mitleidigen Blicke der drei auf sich ruhen - vor allem von Natalja, an der jeder Mann interessiert war. Sie hielten sie für eine Närrin. Sie dachten, sie hätte sich Konstantins Interesse bloß eingebildet.
»Ich habe keinen Hunger«, murmelte sie. »Darf ich aufstehen?«
Ihre Tante nickte, ohne sie anzusehen. War sie verärgert, oder schämte sie sich für ihre Nichte? Schwer zu sagen.
Natalja lehnte an einer kalten Mauer und rauchte eine Zigarette, während
Weitere Kostenlose Bücher