Ueber den Himmel hinaus - Roman
und Matthew um und schickte sie hinaus. Sobald sie weg waren, wandte sich Wendy blass und zitternd an Lena.
»So lange wusstest du schon, dass er kein Geld hat? Und du hast mich in dem Glauben gelassen, er wäre reich?«
»Ich kann nicht fassen, dass du es nicht einmal mir erzählt hast, Lena«, pflichtete Sam seiner Mutter bei.
»Ich hatte es ihm versprochen«, sagte Lena.
»»Du hast mich die ganze Zeit zum Narren gehalten, hast dir angehört, wie ich Pläne schmiede … Du musst dich ja insgeheim schiefgelacht haben«, schrie Wendy.
»Das habe ich nicht«, erwiderte Lena mit einer abwehrenden Handbewegung. »Die ganze Situation ist nicht zum Lachen.«
Sam fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Du hättest es uns sagen sollen, Lena.«
»Ich habe ihm mein Versprechen gegeben.«
»Mir hast du damals vor dem Traualtar auch etwas versprochen. Zwischen Eheleuten sollte es keine Geheimnisse geben.«
Jetzt hatte er eindeutig das Falsche gesagt. Wie oft hatte er sich ohne ihr Wissen Geld geliehen! Wie kamen die beiden eigentlich dazu, ihr Verhalten zu kritisieren?
»Ich habe getan, was ich für richtig hielt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Ich gehe jetzt nach draußen und esse mit den Kindern.«
Sam redete den ganzen Tag kein Wort mehr mit ihr. Abends beim Zubettgehen fragte sie ihn, ob er ihr verzeihen könne. Sie wollte auf keinen Fall schlafen, ohne sich mit ihm versöhnt zu haben.
Er ließ sich seufzend in die Kissen fallen. »Natürlich, Lena. Du warst so gut zu Grandad. Aber … In dieser halben Stunde, als ich dachte, wir wären reich … Gott, Lena, ich habe mich frei gefühlt. Mir ist erst jetzt richtig klar geworden, wie eingesperrt ich mich fühle.« Er barg das Gesicht in den Händen. Weinte er etwa?
»Es tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass mir Grandad sein Geld hinterlässt, hätte ich dich gewarnt, dann wärst du jetzt nicht so enttäuscht.«
Er ließ die Hände sinken. »Verstehst du denn nicht? Wer wann was gesagt hat oder nicht, das ist jetzt alles egal. Es war nur ein dämlicher Familienstreit, der sich irgendwann erledigen wird. Das Problem ist, ich habe die Freiheit gespürt , Lena. Eine Freiheit, die ich nie haben werde; und ich weiß genau, was mir entgeht.«
Sie hätte ihn gern getröstet und gesagt: »Wer weiß, vielleicht eines Tages ja doch«, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt.
KAPITEL 38
Wenn ihre alljährliche Zusammenkunft bei Sofi in Richelieu stattfand, war das mittlerweile jedes Mal ein familiäres Großereignis. Sofi hatte sämtliche Reisekosten übernommen, selbst für Natalja, und ihre Besucher in einem Ferienhaus gleich hinter der Stadtmauer untergebracht. Dieses Jahr war das Wetter mild, und die Sonne stand blass am fahlblauen Himmel, als sie alle zusammen ihren täglichen Vormittagsspaziergang im Schlosspark unternahmen. Alle außer Mama, die derweil mit einer Kreuzsticharbeit zu Hause auf dem Sofa saß. Matthew war ein richtiger Schatz im Umgang mit Nikita. Er bemühte sich, ihn überall mit einzubeziehen, brachte ihm Spiele bei und schob das Karussell für ihn an. Anna, dank Natalja in voller Kriegsbemalung, hatte weit weniger Geduld mit diesem seltsamen kleinen Jungen, der ihr partout nicht in die Augen sehen wollte.
Julien spielte mit Sam, Anna und Matthew Fußball, was mit lautem Gejohle und reichlich patriotischen Rivalitäten einherging.
Sofi, Lena und Natalja verfolgten das fröhliche Treiben von einer Bank aus.
»Musstest du Anna unbedingt schminken?«, beschwerte sich Lena bei ihrer Schwester. »Sie ist doch noch ein kleines Mädchen.«
»Und kleine Mädchen lieben Make-up. Sie hat darum gebettelt.«
In diesem Augenblick stolperte Matthew und landete mit dem Gesicht voran im Gras. Ehe er noch den Mund aufgemacht hatte, war Lena bereits aufgesprungen und zu ihm gelaufen.
Normalerweise hätte Natalja jetzt eine abfällige Bemerkung zu Sofi über Lenas gluckenhaftes Verhalten gemacht, doch das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Cousine war zurzeit äußerst angespannt.
Sofi konnte Natalja kaum in die Augen sehen, und alles nur wegen dieser dämlichen Werbekampagne. Sie hätte nie und nimmer erwartet, dass Natalja daran interessiert sein könnte. Umso mehr hatte sich Sofi über ihren Anruf gewundert. Sie war auch gleich Feuer und Flamme gewesen, schließlich war Natalja wunderschön, und eine Russin obendrein. Sofi hatte allerdings nicht damit gerechnet, bei Francette, vor allem jedoch bei der Werbeagentur, auf derart erbitterten
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