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Ueber den Himmel hinaus - Roman

Ueber den Himmel hinaus - Roman

Titel: Ueber den Himmel hinaus - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Freeman
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gewesen, sprachliche Nuancen zu unterscheiden. Doch Dr. Pelletier hielt an ihrer Überzeugung fest.
    »Ich habe bereits des Öfteren mit Patienten wie Nikita gearbeitet«, sagte sie. »Ich versichere Ihnen, positive Formulierungen machen immer einen Unterschied.«
    »Sogar bei autistischen Kindern?«
    »Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.« Damit verabschiedete sich die Ärztin.
    Sofi betrachtete ihren kleinen Jungen. Beim Anblick der langen Wimpern, die auf seinen Wangen ruhten, wäre sie beinahe wieder in Tränen ausgebrochen, doch sie kämpfte dagegen an und zwang sich zu lächeln. »Hast du gehört, Nikita? Dr. Pelletier glaubt fest daran, dass du bald gesund wirst. Dann können wir wieder in den Park gehen, zum Karussell. Die Sonne wird dir auf die Haare scheinen, es wird nach Rosen duften …« Sie wusste nicht recht, was sie noch sagen sollte. »Ich bin sicher, du kommst bald wieder auf die Beine«, schloss sie. Hoffentlich klang sie zuversichtlicher, als sie tatsächlich war. »Ich werde hier sein, wenn du aufwachst.«
    Sie lehnte sich zurück und beobachtete, wie sich seine Brust rhythmisch hob und senkte. Ehe er aus dem Koma
erwachte, ließ sich unmöglich feststellen, ob er bleibende Schäden davongetragen hatte oder nicht. Sie dachte daran, dass sie noch vor gar nicht allzu langer Zeit Tränen vergossen hatte, weil er nicht war wie andere Kinder. Heute hätte sie alles dafür gegeben, wenn er wieder zu ihr zurückkehren würde, genau so, wie er immer gewesen war.
     
    Es dauerte immer einige Sekunden, bis das Grauen in ihr Bewusstsein drang, wenn Lena morgens erwachte. Doch dann verspürte sie schlagartig wieder die schwere Schuld, die seit Monaten unabänderlich auf ihren Schultern lastete. Sie drückte sie nieder, mit voller Wucht, rief in ihr den Wunsch hervor, die Augen zu schließen und auf ewig zu schlafen. Während ihre eigenen geliebten, gesunden Kinder nebenan in ihren Betten lagen, war Sofis Sohn in einem Koma gefangen, und es wurde immer unwahrscheinlicher, dass er je wieder zu sich kommen würde.
    Immer wieder ließ sie sich die Ereignisse jenes Abends durch den Kopf gehen, und jedes Mal kam sie zu demselben Schluss: Nikita lag im Krankenhaus, war womöglich lebensgefährlich verletzt, und sie trug die Schuld daran.
    Und zu ihrem Entsetzen ging das Leben einfach weiter. Sie bewältigte den Alltag mehr schlecht als recht und brauchte abends stets zwei, drei Gläser, um den Schmerz zu betäuben. Wenn sie dann am nächsten Morgen erwachte, war ihr übel. Sie fühlte sich aufgedunsen und hatte Gewissensbisse, weil genau das, was die ganze Misere verursacht hatte - der Alkohol -, das Einzige war, das ihr half.
    Sie wälzte sich aus dem Bett, griff auf dem Fußboden nach ihren Kleidern, kratzte mit dem Daumennagel an einem Fleck herum, ging zum Schrank. Keine sauberen Kleider. Sie würde den Fleck mit einem Schwamm bearbeiten
müssen. Als sie am Spiegel vorbeikam, blieb ihr Blick an Sofis Scheck hängen, der dort steckte, gleich neben einem Foto von Sam und ihr mit den Kindern. Sie hatte ihn nie eingelöst. Wie sollte sie auch, nach allem, was geschehen war? Sofi hasste sie, hatte den Scheck vermutlich längst sperren lassen. Und so steckte er dort, eine ständige Erinnerung daran, dass sie ihre Chance gründlich vertan hatte.
    Matthew saß vor dem Fernseher, schaute einen Zeichentrickfilm und löffelte seine Cornflakes.
    Sie stellte Wasser auf, griff nach dem Pulverkaffee. Frühmorgens war es am schlimmsten. Sie war immer müde, hatte einen Kater, und trotzdem mussten Lunchpakete hergerichtet, saubere Schuhe und Schuluniformen lokalisiert und zwei verschlafene Kinder ins Auto verfrachtet werden, das dann viermal gestartet werden musste, ehe der Motor ansprang. An kalten Tagen sechsmal.
    Sie bestrich eine Scheibe Brot mit Butter und sah auf die Uhr. »Matthew, sei so gut und geh Anna wecken, ja?«
    Matthew erhob sich vom Sofa und gesellte sich zu ihr. Er betrachtete sie ernst.
    »Los, los«, trieb sie ihn an. »Wir sind schon spät dran.«
    »Anna ist nicht hier.«
    Lena dachte angestrengt nach. War ihre Tochter auf Klassenfahrt, und sie hatte es vergessen? Sie hatte bereits zweimal einen Blackout gehabt … Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen vor Nervosität. Sie brauchte dringend einen Drink. »Was soll das heißen, sie ist nicht hier? Wo ist sie?«
    Matthew lief rot an. »Sie ist gestern Nacht mit Izzy abgehauen.«
    »Abgehauen?« Lena ließ vor Schreck das Messer fallen.

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