Ueber den Himmel hinaus - Roman
sie vorne kerzengerade in die Höhe standen. »Natalja, du bist eine tolle Frau. Wunderschön und äußerst talentiert.«
Natalja erstarrte. Das »Aber« hing bereits in der Luft.
»Aber ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein.«
Ihr schwindelte. »Warum nicht?«, würgte sie hervor.
»Ich liebe meine Frau noch immer«, sprudelte er hastig hervor, mit einer solchen Leidenschaft und Zärtlichkeit in der Stimme, dass sie ihn kaum wiedererkannte. »Ich habe sie immer geliebt. Wir haben unsere Probleme, aber ich bin inzwischen älter und klüger. Sie ist bereit, mir noch eine Chance zu geben, und ich würde alles dafür tun, um mit ihr und den Mädchen zu leben, wie eine richtige Familie.«
Natalja wusste, sie sollte sich nichts anmerken lassen. Sollte versuchen, majestätisch, ja, verächtlich zu wirken. Sie schaffte es nicht.
»Hast du mit ihr geschlafen?« Sie klang atemlos, eifersüchtig.
»Nur drei- oder viermal, seit wir zusammen sind.«
Die Erkenntnis, dass ihre Fantasien den Tatsachen entsprachen, traf sie wie ein Schlag. »Hast du mich je geliebt?«
»Irgendwie schon, ja. Vielleicht hätte es sogar eine Zukunft für uns gegeben, wenn wir uns zu einem anderen Zeitpunkt kennengelernt hätten … Schwer zu sagen. Ich habe die Zeit mit dir genossen.«
»Genossen? Das klingt alles so nonchalant aus deinem Mund. Ich liebe dich, Maxim. Ich liebe dich so sehr, dass mir fast das Herz zerbirst vor Liebe, und du …« Sie verstummte, als ihr bewusst wurde, dass sie schrie, dass sie angestarrt
wurde. Sie konnte nicht fassen, dass er sie in dieses hässliche »Familienrestaurant« bestellt hatte, um mit ihr Schluss zu machen. Sie fasste sich. »Ich nehme an, ich kann nichts unternehmen, um dich umzustimmen?«
Er schüttelte den Kopf, bekümmert und erleichtert zugleich.
Sie erhob sich. »Dann werde ich jetzt gehen.«
»Es tut mir leid, Natalja.«
Hinaus auf die dämmrige Straße. Mücken, juckender Schweiß. Es war an der Zeit, Sankt Petersburg den Rücken zu kehren. Zurück nach London? Vielleicht konnte sie Leida dazu bringen, sie wieder zu vertreten, jetzt, da sie sich einen Ruf erarbeitet hatte. Oder sollte sie nach Los Angeles fliegen und versuchen, endlich in Hollywood den Fuß in die Tür zu bekommen? Doch schon die Vorstellung, mit einem gebrochenen Herzen arbeiten zu müssen, so zu tun, als wäre alles wunderbar, obwohl ihre Welt gerade völlig aus den Fugen geraten war … unmöglich. Nein, sie brauchte jetzt Leute um sich, die sie liebten. Es tat ihr in der Seele weh, zu wissen, dass sie bei Lena nicht willkommen sein würde. Wie leichtfertig sie die Beziehung zu ihrer Schwester zerstört hatte! Aber vielleicht würde Sofi sie bei sich aufnehmen. Womöglich brauchte ihre Cousine sie ja ebenso sehr, wie Natalja sie brauchte.
Es war nicht ganz der Sommer der Genesung geworden, auf den Sofi gehofft hatte. Jetzt, da es erste Anzeichen dafür gab, dass Nikita aus dem Koma erwachen würde, fand sie das Zusehen und Warten nur noch unerträglicher. Von Zeit zu Zeit schüttelte Nikita den Kopf, zuckte teils bewusst, teils reflexartig mit dem Arm oder murmelte etwas, das wie ein Wort klang, wenn man ganz genau hinhörte.
Dann gab es wieder lange Phasen ohne Fortschritte. Irgendwie schaffte sie es, weiterzumachen. Sie stand jeden Tag um sechs auf, telefonierte ausführlich mit Francette, kleidete sich an und machte einen kurzen Abstecher in die Werkstatt, ehe sie gegen halb elf ins Auto stieg, um nach Loudun zu fahren. Mama hielt das Haus in Schuss und sorgte dafür, dass sie und Julien nicht vom Fleisch fielen. Die Sommertage waren lang, das Warten zermürbte sie. Jeder noch so kleine Hinweis auf Besserung ließ ihr Herz jubilieren, nur um sie wieder in Verzweiflung zu stürzen, wenn Nikita danach erneut tagelang still und reglos dalag.
Sie ging in den Flur, um sich die Schuhe anzuziehen, da klopfte es plötzlich energisch an der Tür. Neugierig machte sie auf.
»Überraschung!« Natalja. Mit Gepäck.
»Natalja?« Sofi empfand eine Mischung aus Freude und Argwohn.
Natalja ließ ihr keine Zeit zu überlegen, sondern stellte die Koffer ab und umarmte Sofi. »Du hast doch nichts dagegen, wenn ich eine Weile bleibe? Ich möchte helfen.«
Sofi wusste, dass es nicht reiner Altruismus war, der Natalja hergeführt hatte, aber sie hob sich ihre Fragen für später auf. »Ich freue mich, dich zu sehen.« Sie machte sich von Natalja los. »Ich wollte gerade ins Pflegeheim aufbrechen. Möchtest du mich
Weitere Kostenlose Bücher