Ueber den Himmel hinaus - Roman
äußerst zufrieden mit sich.
KAPITEL 6
Es dauerte fünf Tage, bis er es endlich wagte, sie allein zu lassen.
Natalja wusste, dass er misstrauisch war. Deshalb hatte er ihr auch verboten, nach Hause zu fahren. Doch sie hatte ihn nach allen Regeln der Kunst bezirzt, hatte ihre schlechten Englischkenntnisse bewusst eingesetzt, um den Eindruck von Naivität zu erwecken. Diese Eigenschaft schien er fast am meisten an ihr zu schätzen. In erster Linie aber
beeindruckte ihn ihre Schönheit. Natalja genoss seine Bewunderung. Sie kleidete sich betont brav, sorgte dabei aber stets für eine aufreizende Note. Mal war es ein wie zufällig offen stehender Knopf an der Bluse, mal der achtlos hochgerutschte Rocksaum, wenn sie neben Roy im Auto saß, mal ein verheißungsvolles Lächeln beim Frühstück.
Nachdem er sich fünf Tage für sie Zeit genommen hatte, musste er sich wieder um seine Geschäfte kümmern. Er besaß ein Einkaufszentrum im Nachbarort, und dort wurde er eines Morgens wegen eines Heizungsdefektes benötigt.
»Ich komme schon zurecht«, sagte sie. »Ich koche für dich russisches Abendessen.«
»Bleib mir bloß mit diesem ausländischen Fraß vom Leib. Im Tiefkühlschrank ist ein Steak.«
Natalja schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
»Gut, ich koche dir Steak.« Von wegen. Bis er zurückkam, würde sie längst über alle Berge sein.
Er ergänzte seine übliche Kluft mit einer Baseballkappe und verließ das Haus.
Eine Stunde, nachdem er gegangen war, packte Natalja ihren Koffer und suchte die Nummer eines Taxiunternehmens heraus. Sie würde in die nächste Stadt fahren und von dort einen Bus zum Flughafen nehmen. Sie griff zum Telefon, doch dann zögerte sie. Sie hatte ein paar Dollar, um die Fahrt zu bezahlen. Der Ring war bestimmt einiges wert, aber wenn man bedachte, wie weit sie dafür gereist war, war diese Beute doch etwas mickrig. Sie stellte den Koffer in die Küche und ging den langen, stillen Gang entlang zu seinem Schlafzimmer. Abgeschlossen.
Mistkerl.
Natalja überlegte fieberhaft. Wenn er die Tür versperrt hatte, dann befand sich dort drinnen zweifellos etwas, das
sie haben wollte. Sie ging in die Knie, rüttelte am Knauf, spähte in den Spalt zwischen Rahmen und Türblatt. Sie seufzte und wollte gerade aufgeben, da fiel ihr der durchgehende Balkon ein. Sie eilte ins Gästezimmer, und gleich darauf stand sie vor den Balkontüren seines Schlafzimmers. Auch sie waren verschlossen, aber es war meilenweit niemand zu sehen, weshalb sie einen Stein aus einem Blumentopf holte und damit die Scheibe einschlug. Vorsichtig griff sie durch die Splitter hindurch, um die Tür zu öffnen, ritzte sich dabei aber am Unterarm die Haut auf. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Sie kam sich vor wie eine Diebin. Sie war eine Diebin. Blut begann aus der Schnittwunde zu tropfen. Sie schnappte sich eine Handvoll Kosmetiktücher aus einer Box, die auf der Kommode neben dem Fernseher stand, presste sie auf die Wunde und wartete einen Moment, bis sich ihr Puls einigermaßen normalisiert hatte. Dann steckte sie die Kosmetiktücher ein und begann mit der Suche.
Die Luft im Zimmer war abgestanden. Es sah ganz danach aus, als hätte die Putzfrau keinen Zutritt zu seinem Allerheiligsten. Eine dicke Staubschicht zierte die Möbel, Roys Kleider waren über den ganzen Boden verstreut, und auf den Fliesen im Badezimmer nebenan lag ein Handtuch in einer Pfütze. Natalja öffnete den Kleiderschrank, ohne recht zu wissen, wonach sie suchte. Kleider, Schuhe, Baseballkappen. Die Kommode enthielt ebenfalls Kleider sowie Gürtel und halb leere Aftershave-Flakons. In einer Schublade lagen ausschließlich Socken, ein buntes Durcheinander. Keinerlei Wertsachen.
Unter dem Bett entdeckte sie eine große Schachtel mit Pornovideos und einschlägiger Lektüre von der übelsten Sorte. Sie hätte ihr Versprechen, Roy Creedy im Bett jeden
Wunsch zu erfüllen, zweifellos bereut. Sie erschrak, als unter den Zeitschriften und Videos zwei Pistolen zum Vorschein kamen. In einer Ecke der Schachtel hatte er mit kaugummiartiger Substanz einen Schlüssel befestigt. Natalja pulte ihn heraus und sah sich um. Wo konnte das Schloss dazu sein? Vielleicht hatte sie nicht gründlich genug gesucht. Sie durchwühlte noch einmal die Kommode. Nichts. Draußen klingelte das Telefon. Erst beachtete sie es nicht, dann fiel ihr ein, dass es ein Kontrollanruf von Roy sein könnte. Wenn sie nicht abnahm, kreuzte er womöglich umgehend hier auf. Würden dann seine
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