Ueber den Himmel hinaus - Roman
verraten, was das Problem ist? Ich habe allmählich das Gefühl, du willst nicht, dass deine Familie von mir erfährt.«
»Nein, nein«, sagte sie rasch. »Das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
Sie setzte sich auf, zog sich die Decke über die Brust und holte tief Luft. Früher oder später musste sie ihm die Wahrheit sagen. Sie liebte ihn. »Meine Schwester Natalja ist unglaublich schön.«
»Das bist du doch auch.«
»Sie ist schöner als ich. Das habe ich schon immer gewusst.«
Er lachte und zog sie kopfschüttelnd an sich. »Schönheit ist doch total subjektiv, Lena. Kennst du das Sprichwort ›Schönheit liegt im Auge des Betrachters‹?«
Sie nickte.
»Nun, da ist durchaus etwas Wahres dran. Alte Männer halten ihre Frauen immer noch für die schönsten Geschöpfe auf Gottes Erde, selbst wenn sie voller Falten sind.« Er drückte sie an sich. »Ich werde es dir beweisen, falls ich das Glück haben sollte, dass wir so lange zusammen sind.«
Lena stiegen Tränen in die Augen. War es die Erleichterung oder die Vorstellung, sie könnten miteinander alt werden?
»Also gut«, willigte sie ein. »Ich werde dir Natalja und Sofi vorstellen.«
Er küsste sie auf die nackte Schulter. »Na, Lust auf eine zweite Runde?«
»Und ob«, sagte sie.
Die Nächte gehörten Sofi.
Sobald Natalja und Lena außer Haus oder zu Bett gegangen waren, machte sie sich an die Arbeit. Stundenlang saß sie dann am Esstisch und hantierte mit Perlen und Schmuckdraht, bis ihr die Hände schmerzten.
Sie hatte sich bei einigen Standbetreibern am Camden Market erkundigt, ob jemand eine Handvoll ihrer Schmuckstücke übernehmen wolle, und stets hatte es geheißen, sie solle sich doch einen eigenen Stand mieten. Dafür musste sie natürlich erst einmal eine ganze Menge Schmuck herstellen. Aber es mangelte ihr nicht an Ideen,
und Natalja und Lena hatten nichts dagegen, wenn sie sich mit Material eindeckte. Doch es dauerte.
Tagsüber war sie damit beschäftigt, Natalja zu managen. Es dauerte über eine Woche, eine neue Agentur für sie aufzutreiben. Es gab genügend Scouts, die ihr dieselbe Art von zwielichtigen Aufträgen verschaffen konnten wie Veronica Hanson, und obendrein zahlreiche, die ihr eine Menge Geld abknöpfen wollten, aber keine Arbeit garantieren konnten. Schließlich stieß sie auf eine Agentur am Regent’s Park, die gerade ein Casting für eine Fernsehwerbung veranstaltete und Natalja für die perfekte Kandidatin hielt. Sie musste sich lediglich zwei Stück Kaugummi auf den Handteller kippen und sie sich lächelnd in den Mund stecken - wortlos, sprich, ihr Akzent würde kein Problem darstellen. Die Agentur erklärte sich bereit, Natalja zu vertreten, Natalja bekam den Auftrag, und Sofi nahm an, fortan würde alles wie von allein laufen.
Doch nach vier Wochen herrschte erneut Flaute.
Die Agentur vermittelte Natalja zahlreiche Castings, und dank ihres Aussehens schaffte sie spielend die erste Runde, doch sobald sie den Mund aufmachte, war es vorbei, ganz gleich, wie lange sie den Text mit Sofi einstudiert hatte.
»Es ist so ungerecht!«, jammerte Natalja oft. »Andere Mädchen werden auf der Straße entdeckt!«
Sofi paukte unentwegt mit ihr, mit dürftigem Erfolg, und kam schließlich zu der Überzeugung, dass es besser wäre, wenn Natalja ständigen Umgang mit Muttersprachlern pflegte statt mit ihren russischen Verwandten. Sie überredete Natalja, sich wie Lena eine Stelle zu suchen, und sei es nur für kurze Zeit.
Der Vorschlag war bei Natalja auf großen Widerstand
gestoßen, bis Sofi über eine Stellenanzeige für die Teestube des Fernsehsenders STC gestolpert war. Das Bewerbungsgespräch war am Montag.
Sofi lehnte sich gähnend zurück. Sie hatte in mühevoller Kleinarbeit für eine Reihe bunter Muscheln Kastenfassungen aus Silberdraht geflochten, aus denen sie nun ein Armband fertigen wollte. Nachdenklich schob sie sie auf dem Tisch hin und her: zartrosa, cremeweiß, lachsrosa … Nein, lachsrosa, zartrosa, cremeweiß … Sie konnte sich nicht entscheiden, aber die richtige Reihenfolge der Farben war immer schwierig. Noch schwieriger fand sie es allerdings, einen Preis für ihren Schmuck festzulegen. Das Material, Glasperlen und Muscheln, war nicht teuer, doch was war ihre Arbeit wert? Eines Tages, so hoffte sie, würde sie echte Steine verwenden können - Rosenquarz, Topaz, Kunzit und Turmalin würden diesem Armband eine angenehme Schwere verleihen, die gebührende Präsenz verschaffen.
Allmählich
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