Ueber den Himmel hinaus - Roman
ihr, auch nur eine Sekunde zu glauben, sie könnte in diese Welt gehören. Sie brachte ihr zur Hälfte geleertes Glas zu dem Tisch zurück und wollte gerade den Heimweg antreten, als Julien nach ihrem Handgelenk griff.
»Sofi?« Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie direkt an ihm vorbeigegangen war. »Kommen Sie mit, ich möchte Ihnen Simon und seine Frau vorstellen.«
Sofi drehte sich zu ihm um. Sie wollte etwas sagen, doch ihr versagte die Stimme.
Julien legte verdutzt den Kopf schief. »Alles in Ordnung?«
»Ich … nein.« Rasch erklärte sie ihm, was geschehen war, und zu ihrer Verblüffung lachte Julien schallend los, nur um sich sogleich die Hand vor den Mund zu halten. »Das haben Sie gesagt?«
Sie nickte unendlich verlegen.
»Tja«, Julien warf theatralisch einen Blick über die Schulter. »Wurde auch Zeit, dass das einmal jemand ausspricht.«
Sofi unterdrückte ein Lächeln.
»Ich habe genug gesehen. Wir zwei werden jetzt in einem schönen Restaurant etwas essen, und dann sagen Sie mir ganz offen und ehrlich, was Sie an Simons Werken
hässlich und deprimierend finden, damit ich nicht denselben Fehler mache.«
Sie gingen hinaus in die belebte Nacht und suchten Zuflucht in einem chinesischen Restaurant über einer Apotheke. Während sich Julien aus dem Mantel schälte und ihn über seine Stuhllehne hängte, betrachtete Sofi verstohlen sein Profil. Als er sie dabei ertappte, wandte sie den Blick ab und betete inständig, sie möge nicht feuerrot anlaufen.
»Tja, da sind wir nun«, stellte er fest. »Eine Russin und ein Franzose in einem Chinarestaurant in England.«
Sie grinste. »Schon komisch, nicht?«
»Nicht so komisch wie die Vorstellung, dass Sie Jacinta Phillips-Pritchard unverblümt ins Gesicht gesagt haben, was für ein morbider Irrer ihr Ehemann ist.«
»Das habe ich nicht gesagt!«
»Aber es stimmt, Sofi. Sie haben die bemerkenswerte Gabe, in Bildern zu lesen. Erzählen Sie mir, was Sie gesehen haben.«
Julien wollte natürlich hören, dass seine Arbeiten besser waren als die seines Freundes, und sie erfüllte ihm diesen Wunsch nur zu gern. Endlich kam die Unterhaltung in Schwung. Sie sprachen über Kunst, über Schönheit, über verschiedene Arten, die Welt zu betrachten und zu interpretieren. Als die Teller nach dem Essen abgetragen wurden, plauderten sie noch immer. Die lebhafte Begeisterung, mit der er redete, stand in krassem Widerspruch zu seiner verhaltenen Körpersprache. Er saß sehr aufrecht da, und als er ihr nachschenkte und dabei ihre Hand streifte, zuckte er zurück, als hätte er sich verbrannt. Sofi kam es sogar so vor, als würde er es vermeiden, sie direkt anzusehen. Allerdings ertappte sie ihn dabei, dass er sie mit seinen durchdringenden
blauen Augen anstarrte, während sie sich die Rechnung teilten.
Als das Taxi vor ihrer Haustür stehen blieb, wusste sie noch immer nicht, was er von ihr hielt.
»Vielen Dank für den schönen Abend«, sagte sie und lächelte ihn an, in der Hoffnung, er würde ihr einen wie auch immer gearteten Hinweis liefern.
Er machte den Mund auf, als wollte er etwas sagen, dann beugte er sich zwischen den Sitzen nach vorn. »Bitte warten Sie, ich bringe die Dame noch zur Tür.«
Der Fahrer nickte, und Julien kletterte aus dem Wagen. Es wehte ein eisiger Wind, der nach Regen roch. An der Haustür blieb Sofi stehen, schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr und erstarrte, als Julien ihr eine Hand auf die Schulter legte.
»Sofi, ich muss Sie das fragen, weil ich Sie einfach nicht einschätzen kann: Wollen Sie, dass ich Sie küsse?«
Sie traute ihren Ohren kaum. »Das kommt darauf an. Wollen Sie mich denn küssen?«
»Schon, aber es fällt mir schwer, Ihre Gefühle zu erraten.«
Sofi nickte nachdrücklich. »Ja, ich will, dass Sie mich küssen.«
Er beugte den Kopf, wich noch einmal zurück, als sich ihre Nasen berührten, dann legte er den Kopf schief und küsste sie. Warme Lippen. Er fuhr ihr mit den Händen durch die Haare. Aus seiner Kehle stieg ein Laut auf, ein erleichtertes Stöhnen. Es begann zu regnen. Widerstrebend löste er sich von ihr.
»Ich werde dich anrufen«, versprach er.
»Ich freue mich darauf.«
Und schon war er zum Taxi geeilt und in der Nacht verschwunden.
Sofi presste sich eine Hand aufs Herz. Ihr war klar, dass Natalja und Lena sie den ganzen Abend über aufziehen würden, wenn sie erst ihr seliges Lächeln sahen.
Aber das störte sie nicht im Geringsten.
KAPITEL 14
»Ihr werdet aber doch heiraten, nicht?«,
Weitere Kostenlose Bücher