Ueber den Himmel hinaus - Roman
dass er bloß an einer freundschaftlichen Beziehung mit ihr interessiert war - was sollte ein international anerkannter Künstler sonst von ihr wollen?
Als es an der Tür klingelte, wurde Sofi klar, dass ihre Cousinen verwundert, wenn nicht gar verstimmt sein würden, weil sie ihnen nichts erzählt hatte. Und natürlich würden sie sie später gnadenlos aufziehen. Natalja sprang auf, um zu öffnen, da sie annahm, es wäre jemand von STC, der ihr die erwarteten Drehbücher brachte.
Sofi betrachtete sich prüfend im Spiegel. Sie hatte keine Ahnung von Make-up, also hatte sie sich lediglich das seidige blonde Haar gebürstet und statt Jeans ein Kleid angezogen.
Als sie aus dem Zimmer trat, hatte Natalja gerade die Tür geöffnet. Sie überragte Julien um fast zehn Zentimeter.
»Hallo«, sagte sie, »sind Sie Ruperts Assistent?«
»Nein, ich bin … Ah, Sofi, da sind Sie ja.« Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, und Sofi eilte zur Tür, um ihn hereinzubitten.
»Julien, das sind meine Cousinen Lena und Natalja.« Sie deutete auf ihre Mitbewohnerinnen. »Julien ist Maler. Wir gehen zusammen auf eine Vernissage.«
Natalja und Lena tauschten wissende Blicke aus und grinsten.
»Tja, dann viel Spaß«, flötete Natalja.
»Wir warten nicht auf dich«, fügte Lena hinzu.
Sofi errötete und schob Julien hinaus. Unten wartete ein Taxi.
Die ganze Fahrt über versuchte Sofi herauszufinden, ob sein Interesse an ihr platonischer Natur war oder nicht. Vergeblich. Die Sicherheitsgurte sorgten für gebührlichen Abstand, und die Unterhaltung bewegte sich aufgrund ihrer Verunsicherung nur an der Oberfläche. Bis sie an der Galerie angelangt waren, hatten sie ausschließlich über das Wetter geredet, und Sofi fand sich selbst derart langweilig, dass Julien, sollte er je an ihr interessiert gewesen sein, seine Meinung mittlerweile bestimmt geändert hatte.
Die Galerie befand sich in einer schmalen Seitenstraße unweit der Themse. Auf dem Bürgersteig standen Leute in Gruppen zusammen, rauchten, plauderten und lachten. Als Julien und Sofi aus dem Taxi stiegen, wurden sie von einem Dutzend Augenpaaren prüfend gemustert: Musste man die beiden kennen? Julien schien es überhaupt nicht zu bemerken. Er dirigierte sie sanft am Ellbogen in Richtung Eingangstür. Sofi registrierte einen Hauch von Zigarrenrauch und den metallischen Geruch des Flusses, und dann betraten sie eine überheizte Galerie mit nackten
Holzböden und weißen Wänden. Ein Jüngling mit Brille hakte ihre Namen auf einer Liste ab und bedeutete ihnen einzutreten.
»Ich bin übrigens ein riesiger Fan Ihrer Arbeiten, Monsieur Blanchard«, sagte er noch.
Julien nickte lächelnd, erwiderte aber nichts. »Ah, da ist Simon. Entschuldigen Sie mich, Sofi.«
Damit ließ er sie stehen und stürzte sich ins Getümmel, um seinen Bekannten zu begrüßen.
Um sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen, ging Sofi zielstrebig zu einem Tisch mit Erfrischungen. Mit einem Glas Sekt und einem Häppchen bewaffnet, startete sie ihren Rundgang durch die Ausstellung.
Sie hatte zwar von Simon Phillips-Pritchard gehört, seine Bilder aber noch nie gesehen. Unwillkürlich verglich sie sie mit Juliens Werken. Beide Maler waren deutlich vom Expressionismus beeinflusst; allerdings erfreuten Juliens Darstellungen den Betrachter mit ihrer Schönheit, während Simon darauf bedacht schien, mit seinen Bildern Beklemmung hervorzurufen.
Sie verharrte lange vor jedem einzelnen Werk. Wenn sie bloß in der Gegend herumstand und darauf wartete, dass Julien zurückkam, konnte es ein langer Abend werden.
Sie betrachtete gerade ein besonders verstörendes Werk, als sie von einer rothaarigen Frau in einem roten Kleid angesprochen wurde. »Und, wie finden Sie die Bilder?«
Sofi sah ihr ins Gesicht. »Hässlich«, sagte sie aufrichtig.
Die Frau trat näher. »Fahren Sie fort.«
»Zugegeben, er hat Talent, aber warum nutzt er seine Begabung nicht, um etwas Schönes zu schaffen? Diese Bilder sind schlichtweg deprimierend.«
»Das ist Ihre persönliche Meinung«, versetzte die Frau.
»Natürlich ist das nur meine persönliche Meinung.« Sofi bereute ihre Worte bereits.
Die Frau betrachtete das Gemälde, dann musterte sie Sofi. »Sie werden bestimmt verstehen, dass ich anderer Ansicht bin. Der Maler ist mein Mann.«
Sofi sah ihr nach. Ihr war zum Weinen zumute. Julien würde garantiert Wind von der Sache bekommen; ihr blieb gar nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen. Wie dumm von
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