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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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näherten.
    Zuerst war es Olaf nicht aufgefallen, dass er als einziger im Internat nicht an der verbreiteten Krankheit des Heimwehs litt.
    Erst als man ihn aufgrund seiner stoischen Haltung lobte und den anderen als Beispiel vorhielt, fiel ihm auf, dass er nicht reagierte wie die anderen Jungen seines Alters. Seitdem achtete Olaf verstärkt darauf, auch wenn die Ferien und die damit verbundene Heimkehr sich näherten, einen oberflächlichen Eindruck von Vorfreude zu erwecken. Einfach, um sich besser einzugliedern. Einfach, um dazuzugehören.
    Schließlich gelang es ihm sogar, sich selbst davon zu überzeugen, dass er der Begegnung mit seinen Eltern dankbar entgegen sah.
    Nur geriet seine Überzeugung mit wachsender Nähe seines Zieles ins Wanken. Sein Herz vollführte kleine, unangenehme Sprünge in seinem Brustkorb. Und dies hatte weder etwas mit froher Erwartung, noch mit Ungeduld zu tun.
    Olaf wusste nicht, wie er mit dem Gedanken an das neue Kind umgehen sollte, von dem es jetzt schon hieß, dass es sein kleiner Bruder werde. Ein Alien, für den ihm die Verantwortung aufgebürdet wurde, sein Vorbild zu sein. Ein unerwünschter Eindringling, der ihm die sparsame Zuneigung, die seine Eltern ihm schenkten, früher oder später abspenstig machen würde. Zumindest war es das, was Olaf insgeheim befürchtete, auch wenn er niemals und zu niemandem ein Wort darüber sprach.
    Die Limousine schwenkte in die private Auffahrt und folgte dem mit weißen Kieselsteinen bedeckten Weg hinauf zum Anwesen.
    Kaum etwas schien sich beim Anblick des Gebäudes jemals zu verändern, sogar unabhängig von den Jahreszeiten ergaben sich kaum auffallende Unterschiede. Dafür sorgten vor allem die Gärtner. Mit Geschick und immergrünen Gewächsen gelang es ihnen, eine Atmosphäre der Perfektion und Unvergänglichkeit zu schaffen. Dies entsprach dem strahlend reinen Anstrich des Hauses, der Eleganz, mit der Erker, Giebel und zwei Säulen das Eingangstor umrahmten.
    Beinahe geräuschlos rollte der Wagen vor die Front des Gebäudes. Nur das Scharren der Reifen unterbrach die Stille, als der Chauffeur einen Bogen fuhr und die Limousine abbremste.
    Der Chauffeur, ein junger Mann, der Olaf bislang unbekannt gewesen war, stieg aus und öffnete ihm die Autotür.
    Olaf bedankte sich mit höflichen Worten, machte sich jedoch nicht die Mühe, Namen oder Gesicht des Mannes zu behalten. Schließlich standen die Chancen gut, dass er den Betreffenden nie wieder sah.
    Es herrschte ein ständiger Wechsel von Personal in seinem Elternhaus, eine Tatsache, an die Olaf sich längst gewöhnt hatte, spätestens seitdem ihn die sich verändernden Gesichter und Stimmen verschiedener Kindermädchen nicht mehr irritierten.
    Und so wunderte er sich auch nicht, dass das junge Hausmädchen, das ihm die Tür öffnete, innerhalb der letzten Monate von einer Matrone in eben derselben Kluft abgelöst worden war. Ungewohnt herzlich lachte sie ihm zu, als er sie mit seinem erlernten Gruß und dem dazu gehörigen Kopfnicken bedachte. Diese Gesten waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen und muteten beinahe schon militärisch an.
    Es war eine gute Schule, auf die seine Eltern ihn geschickt hatten. Das war auch ihm mittlerweile klar geworden. Eine der besten und teuersten Schulen des Landes. Er konnte sich glücklich schätzen, dort mit Umgangsformen und Manieren ausgestattet zu werden, die eines Prinzen würdig wären.
    Demzufolge fiel es ihm auch nicht schwer, den winzigen Stachel der Enttäuschung zu verbergen, der ihn mit der Erkenntnis kratzte, dass sein Vater es nicht für nötig hielt, seine Arbeit wegen Olafs Ankunft zu unterbrechen.
    Jedes Mal wenn Olaf den Raum betrat, der ihn nach der Eingangshalle empfing, erschien ihm dieser dunkler als beim letzten Besuch. Mochte sein, der Grund lag in dem Wissen, dass sein Vater sich nicht zeigen werde. Nur die Angestellten begrüßten ihn.
    Er nickte der Haushälterin noch einmal zu, nahm seinen Koffer in Empfang, den ihm der Chauffeur entgegen hielt, und erklärte mit einem freundlichen Lächeln, dass er sich auf sein Zimmer zurückziehe, bis man ihn rufe.
    Die Frau in dem enganliegenden, schwarzen Kleid mit weißer Spitzenschürze strahlte ihn bewundernd an und ließ noch eine Bemerkung in der Richtung fallen, was für ein ausgesucht gut erzogener Bub er doch sei und wie glücklich seine Eltern sein konnten, einen so braven Jungen in die Welt gesetzt zu haben.
    Olaf vermied es, rot zu werden. Stattdessen schaffte er das

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